Blühende Klänge im Trümmerfeld
Die Berliner Philharmoniker eröffnen mit Puccinis „Manon Lescaut“ die Osterfestspiele Baden-Baden
nsand an der Grenze zu New Orleans, wo Manon Lescaut im vierten Akt ihr Leben aushaucht. Gelb ist auch die Farbe der diesjährigen Osterfestspiele Baden-Baden. Nachdem im letzten Jahr beim Festivaldebüt der Berliner Philharmoniker in der Kurstadt noch winterliche Temperaturen herrschten, präsentiert sich Baden-Baden zur zweiten Festspielauflage in voller Blüte.
Noch nie zuvor hat das Orchester Puccinis Dramma lirico gespielt. Auch für Simon Rattle ist „Manon Lescaut“ ein Debüt. Bei Puccini fühlt sich der Dirigent sichtlich wohler als bei Mozarts „Zauberflöte“, mit der letztes Jahr die Osterfestspiele eröffnet wurden. Die Holzbläser machen mit ihren funkelnden Girlanden dem „Allegro brillante“ des Vorspiels alle Ehre. Der warme, flexible Streicherklang belebt die Szenerie.
Rattle braucht ein wenig Zeit, um die richtige Balance zu finden. Zu Beginn ist der feine Tenor von Bogdan Mihai als Edmondo im Festspielhaus kaum zu hören. Kleinere Koordinationsprobleme zwischen dem Orchester und dem klanglich ebenfalls hochdifferenzierten Philharmonia Chor Wien (Einstudierung: Walter Zeh) können ebenfalls notiert werden.
Aber das sind Peanuts angesichts dessen, was bei diesem Puccini auf der Habenseite bleibt. Rattle zoomt mit seinen grandios aufspielenden Berliner Philharmonikern Details heran, ohne dabei den Blick fürs große Ganze zu verlieren. Der für Puccini so wichtige musikalische Fluss bleibt trotz der vielen kleinen Rubati erhalten. Das ein wenig wagnerisch tönende Intermezzo zum dritten Akt ist reinstes Streicherglück und bereitet mit seiner dunklen Farbe die Nachtszene im Hafen von Le Havre musikalisch vor.
Die Inszenierung von Richard Eyre hat die Handlung aus dem 18. Jahrhundert in das von den Deutschen besetzte Frankreich der 1940er-Jahre verlegt. Wehrmachtssoldaten schieben Wache und geben dem unbeschwerten ersten Akt eine bedrohliche Note (Kostüme: Fotini Dimou). Der alte Geronte da Ravoir, der die junge Manon Lescaut mit seinem Geld nach Paris lockt (stark: Liang Li ), ist Kollaborateur.
Auch das Bühnenbild von Rob Howell kündigt bei dieser aufwändigen Koproduktion des Festspielhauses Baden mit der New Yorker Metropolitan Opera die Zeitenwende an. Die stuckverzierten Fassaden gehen über in schmucklose, monumentale Naziarchitektur. Im letzten Akt liegt alles in Trümmern. Die Wüste von New Orleans ist in Baden-Baden eine in Gelb getauchte Kriegslandschaft (Licht: Peter Mumford). Hier, wo sich auch die Partitur ausdünnt, geht es um die Existenz.
Hier kommt auch Eva-Maria Westbroek ganz zu sich. Die niederländische Sopranistin konnte als Manon Lescaut den ganzen Abend aus dem Vollen schöpfen. Die zerbrechliche Seite dieses 18-jährigen Mädchens hatte sich in ihrer opulenten Interpretation dagegen leider kaum widergespiegelt. Nun aber berührt Westbroek im Todeskampf der Manon bei ihrer großen Arie „Sola, perduta, abbandonata“ (Allein, verloren, verlassen) auch mit weichen, lyrischen Pianophrasen. Der darstellerisch schwache Massimo Giordano als Renato Des Grieux zeigt zumindest musikalisch ein bemerkenswertes Rollendebüt. Lester Lynch bietet als Manots Bruder Lescaut eine solide, dunkel grundierte Interpretation. Zwei große Schweller, die Simon Rattle aus dem Nichts ins schmerzende Fortissimo holt und wieder bruchlos ins Pianissimo zurückführt, betrauern am Ende den Tod Manons, ehe im Festspielhaus Freude über die gelungene Produktion zu spüren ist.
Georg Rudiger
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