Die Gesellschaft im Blick: Im ZKM in Karlsruhe hat die neue Ausstellung „Fellow Travellers. Kunst als Werkzeug, die Welt zu verändern“ eröffnet
Endlich ist sie da, die erste originär von Alistair Hudson konzipierte Ausstellung im ZKM, das Hudson seit 2023 leitet. Der Brite nahm sich Zeit, ein Gefühl für das ZKM und Karlsruhe zu bekommen. In der Schau „Fellow Travellers. Kunst als Werkzeug, die Welt zu verändern“, bilden die vom langjährigen ZKM-Direktor Peter Waibel gesetzten Traditionen zusammen mit den Ideen von Hudson ein anregendes neues Profil. Zu sehen sind weniger Kunstwerke als Projekte aus Karlsruhe, Europa, Südamerika, Afrika und Asien.
Wie sein Vorgänger Waibel stellt Hudson die Ausstellung in einen gesellschaftspolitischen Kontext. Es sei eine Zeit des Umbruchs, erfüllt von spürbarer Nervosität, so Hudson. Kunst solle deshalb nicht nur Kritisches an- und aussprechen, sondern positive Lösungen anbieten. Das beste Beispiel für diesen Ansatz bietet Zheng Guogu, der als „bad boy“ der chinesischen Kunstwelt anfing, dann aber den Alkohol hinter sich ließ und sich nun von traditioneller chinesischer Philosophie, aber auch von Computerspielen wie „World of Empires“ inspirieren lässt. In dem Spiel geht es um den Aufbau von Zivilisationen und die Eroberung anderer Reiche. Zheng Guogu lässt die Optik des Spiels in seine Arbeiten einfließen, ebenso wie die klassische asiatische Lehre der Chakren. Die handgemalten Chakrenbilder an der Wand sind allerdings auf dem Computerbildschirm entworfen worden.
Guogus zugegeben nicht ganz originelle Idee, den Problemen auf der Welt entgegenzuwirken, besteht aus der Schaffung großer Parkanlagen. Häuser, Bäume, Wasser, die Natur ringsum bilden eine Einheit, was ein großformatiges Foto zeigt. Der Fächergrundriss von Karlsruhe mit dem Schlossturm als Mittel- und Ausgangspunkt habe den chinesischen Künstler spontan begeistert, erzählt Hudson. Die Begeisterung resultiert in einem kreisrunden Teppich, in dem man den Grundriss der Fächerstadt wiederfindet. Am meisten freut sich Hudson über Guogus Vorschlag, den leer stehenden Kubus außen vor dem ZKM in einen Wintergarten zu verwandeln, begrünt mit echten Pflanzen. Noch werden mit wissenschaftlicher Begleitung die passenden Gewächse gesucht.
Die Verbindung zu Wissenschaften ist eine ZKM-Tradition, die in der neuen Ausstellung fortgeführt wird. Luftaufnahmen zeigen die runden Grundrisse einstiger Besiedlung im Amazonas-Regenwald, die der kolumbianische Architekt Paulo Tavares erforscht. Er will so die Geschichte der indigenen Völker im Amazonas bewahren. Zu diesem dokumentarischen Ausstellungsteil gehört auch Natalia Romiks Dokumentation von Ereignissen während der deutschen Besetzung Polens im Zweiten Weltkrieg. Verfolgte Juden fanden Verstecke, unter anderem auf dem verlassenen jüdischen Friedhof in Warschau oder in der großen Josef-Eiche in Wisniowa. In ausgestellten Büchern aus dieser Zeit ist nachzulesen, wie in der Nazi-Ideologie sogar die Bäume einbezogen werden sollten in den Kampf zwischen der arischen und der slawischen Rasse.
Die Künstlergruppe CATPC aus dem Kongo erzählt in ihren Arbeiten eine wahre Geschichte von Ausbeutung und Selbstermächtigung. Ihr Heimatort Lusanga liegt in einer bereits im 19. Jahrhundert angelegten Palmölplantage der Lever-Brüder. Das Unternehmen heißt heute Unilever. Die Bewohner schufteten für einen Hungerlohn auf der Plantage. Nachdem der Boden erschöpft war, verkaufte Unilever das Gelände. Die kongolesische Künstlergruppe erinnert in Skulpturen aus den Rohstoffen ihrer Heimat, Kakao, Palmöl und Zucker, an die Geschichte der Ausbeutung in all ihren Formen. „Forced Love“ zeigt eine Vergewaltigung. An den sadistischen Aufseher Balot erinnern ein Video und sechs NFTs, non-fungible tokens. Balots Grausamkeit provozierte einen Aufstand, in dessen Verlauf er getötet wurde.
In „Fellow Travellers“ gibt es auch ein Hier und Heute, „Common Grounds“ genannt. Der gemeinsame Grund ist wörtlich zu verstehen, das ZKM hat von der Stadt Karlsruhe ein Grundstück gepachtet und eine Streuobstwiese angelegt. Seit fünf Jahren wird die Katzenwedelwiese von Mitarbeitern und Studenten gepflegt als artenreiches Biotop, aber auch als künstlerische Inspiration, zum Beispiel für die Klanginstallation „The Orchard“. Im ZKM Zentrum für Kunst und Medien geht es längst nicht mehr nur um Medienkunst oder High Tech, es geht um gemeinsame Anliegen und gesellschaftliche Projekte.
Fellow Travellers. Kunst als Werkzeug, die Welt zu verändern. ZKM, Lorenzstraße 19, Karlsruhe. Bis 08.06.25
Bildquellen
- Gruppenbild von CATPC: © Human Activities 2020
- Zheng Guogu: „Me and My Teacher“, 1993: © Zheng Guogu / Mit Genehmigung des Künstlers und Vitamin Creative Space