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Arm und Reich ist gar nicht gleich

Dieser Februar-Samstag ist trüb, kalter Nieselregen geht vor den Fenstern der Katholischen Akademie Freiburg nieder. Einen Tag lang wird hier über Armut und Reichtum diskutiert, um Teilhabe und Gerechtigkeit und die Frage, ob das wohl für alle Menschen erreichbar sein mag. Die Veranstalter – die Informationsstelle Peru, die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung und die Katholische Akademie der Erzdiözese Freiburg – wollen ebenso globale Armut thematisieren wie die Zustände vor der deutschen Haustür.

Rómulo Torres Seoane spricht über die Situation in seinem Land: Peru, das ist in den Augen vieler westlicher Ökonomen ein südamerikanisches Paradebeispiel für gelingende Entwicklung, ermöglicht durch eine großzügig liberalisierte Freihandelspolitik. Und tatsächlich, das Bruttoinlandsprodukt ist gestiegen, die sozialen Konflikte dabei aber gleich mit – so haben im Peru des Jahres 2008 harte Auseinandersetzungen auf nationaler Ebene deutlich zugenommen. Die Zivilbevölkerung gibt ihrer Unzufriedenheit immer klarer Ausdruck, an den Entscheidungsprozessen des eigenen Landes hat sie kaum Anteil, da ein Übergang zu echten demokratischen Strukturen nie stattgefunden hat.

Die Korruption in den höchsten politischen Rängen dagegen treibt satte, bunte Blüten. Und die sozio-ökonomischen Gegensätze klaffen immer heftiger, denn leider sagt das Wachstum der Exportrate in volkswirtschaftlich tragenden Sektoren wie dem Bergbau und der Textilindustrie nichts über die Verteilungsgerechtigkeit aus, ebenso wenig wie das gestiegene Pro-Kopf-Einkommen bedeutet, dass jeder peruanische Kopf mehr Geld erhält. Die Gewinne sind so ungleich verteilt, dass Perus Armutsrate weiterhin bei 40 % liegt, in ländlichen Gebieten sind bis zu 80% der Bevölkerung betroffen. Viele Menschen leben von den staatlichen Sozialprogrammen. Unternehmensansiedlungen ausländischer Investitoren sind angenehm unkompliziert und durch extrem niedrige Steuersätze begünstigt. Dass die ressourcenreichen Ländereien – fette Brocken für internationale Bergbauunternehmen – nicht selten Lokalbesitz indigener Gemeinschaften sind, stört den Staat wenig, Erdöl-Probebohrungen im Urwald z.B. sind kein Problem. Höchstens für die Betroffenen, im Amazonasbecken sind das Indianerstämme, die ihr Leben zum Teil sogar freiwillig fernab der westlichen Zivilisation gestalten. Andernorts trifft der liberale Wirtschaftskurs die Kleinbauern, deren Existenz eng mit Grund und Boden zusammenhängt. Vom Ertrag ihrer landwirtschaftlichen Produktion können sie immerhin überleben, wenn man sie lässt. Auch im industriellen Sektor fehlt die politische Konsenssuche mit der lokalen Produktion: Kleinere Textilproduzenten wurden in großer Zahl von der Flut chinesischer Importe verdrängt.

Der Trend gehe gegen das Lokale, so Rómulo Torres Seoane, weitere Bauern und Indianer werden ihren Besitz verlieren. Das sogenannte „nationale Interesse“ stehe auch im öffentlichen Diskurs im Vordergrund. Und den führt offensichtlich eine urbane Mittelschicht, der es ja auch so schlecht nicht geht. Sie repräsentiert die „Lebensform der Einkaufszentren“ und kennt Andersdenkenden gegenüber vor allem Herablassung, brandmarkt sie als „altmodisch“ und „schwach“. Ja, die peruanische Gesellschaft droht mehr und mehr zu zerbrechen, wenig verbindet noch diese Mittelschicht mit der fast stimmlosen Landbevölkerung. Es bräuchte, so Rómulo Torres Seoane, ein gemeinsames Bewusstsein, am besten verkörpert von einer öffentlichen Person, es bräuchte also eine/n, der / die jene verlorene Verbindung zwischen den sozialen Klassen wieder herzustellen wüsste.

Verbindung, Einheitsbewusstsein, Gemeinschaftsdenken vor rüdem Ego-Individualismus. Den Blick auf die Mikroebene der Lebensrealität vieler zu richten, statt einseitig die Makroebene einer international agierenden Wirtschaftselite zu fokussieren. Das sind auch in Deutschland Themen.

Natürlich ist es wichtig zu unterscheiden. Armut in Peru kommt in ganz anderer Gestalt daher als die deutsche Luxus-Schwester. Das physische Überleben ist bei uns nicht unmittelbar bedroht. Man trennt daher zwischen absoluter und relativer Armut. Nach der Weltbank-Definition ist absolut arm, wer weniger als 1,50 $ pro Tag zur Verfügung hat. Relative Armut orientiert sich am Durchschnittswert des Einkommens der jeweiligen Nation.

In Deutschland heißt das, dass man von weniger als 781,00 Euro pro Monat leben muss. Das gilt immerhin für 13 Prozent der deutschen Bevölkerung. Weidlich bekannt ist, dass Menschen ohne Arbeit, besonders Langzeitarbeitslose, ein erhöhtes Armutsrisiko haben. Dass neben den Erwerbslosen auch Arbeitende arm sein können, ist weniger bekannt: 5 Prozent brauchen Zuschüsse vom Staat, um leben zu können, sie gehören damit zu den „working poor“. Deren Anzahl steigt. Zur Armutsrisikogruppe gehören neben den Erwerbslosen Alleinerziehende und Alleinlebende, Menschen aus Haushalten mit geringer Bildung (i.e. beide Eltern ohne Schulabschluss) und Menschen, die selbst keinen Schulabschluss besitzen.

Es wird deutlich, dass der Armutsbegriff in Industrienationen kein rein ökonomischer sein kann, und das ist wichtig zu sehen. Faktoren wie Arbeit, Gesundheit und Bildung sind Dimensionen, die Armut einerseits mit bewirken und andererseits widerspiegeln. Ja, es ist tatsächlich so: Geld macht gesund, Erwachsene ohne Abitur weisen eine kürzere Lebenserwartung auf. Die subjektive Wahrnehmung der eigenen Gesundheit hängt mit der sozialen Schichtzugehörigkeit zusammen, Kinder und Jugendliche aus unteren Schichten fühlen sich kränker als sozial besser gestellte Altersgenoss/innen. Dass ein guter Finanz- und Sozialstatus hierzulande zu mehr Bildungschancen führt, bestreitet schon seit Jahren niemand mehr. Arbeiterkinder – und das ist nur eine der betroffenen Gruppen – sind an den Hochschulen in der Minderheit, verglichen mit ihrem Anteil an der altersspezifischen Bevölkerung. Der liegt bei 41 %, unter den Studienanfänger/innen machen sie aber nur 20 % aus. Im Gegenzug studieren 83 von 100 Akademikerkindern. Die sogenannte „Bildungsvererbung des Studiums“ hat in den letzten Jahren in sämtlichen Fächern zugenommen.

Deutsche Armut bedeutet nicht Hunger, sondern schlechtere Lebensmöglichkeiten bis hin zum Ausschluss. Ausschluss und Rückzug, Scham und Resignation – das alles hängt in deutschen Köpfen oft damit zusammen, ob man überhaupt eine Arbeit hat. Hierbei ist ausschließlich von Lohnarbeit die Rede. Lohnarbeit an sich hat einen schier unhinterfragt hohen Stellenwert, das spiegelt sich in der Hierarchie unserer Ängste. Auf der Skala möglicher Lebensschrecknisse rangiert Arbeitslosigkeit im Jahr 2007 mit 50,8 % auf Platz 1, gefolgt von der Angst vor Krankheiten mit 43 %. Krebs ist also nicht so schlimm wie den Arbeitsplatz zu verlieren? Lieber den Partner als den Job einbüßen? Hier geht es offensichtlich um kollektive Werte, es geht um Fragen des Bewusstseins: Was ist uns als Gesellschaft wichtig? Was macht ein „richtiges“ Leben aus? Wer darf dazugehören und warum? Wer ist mein/e „Nächste/r“, wo beginnt, wo endet meine Bereitschaft zum gemeinschaftlichen Denken? Und wie weit weg ist eigentlich Peru?

Soziale Gegensätze beginnen im Kopf. Die „Gnade der reichen Geburt“ führt – national oder global – immer noch in eine narzisstische Illusion der Überlegenheit, der Unabhängigkeit vom Rest der Welt. Heimlich führt sie zu Gedanken wie „Arm sind die anderen“ oder „Katastrophen sind anderswo“. Und noch viel heimlicher zum Nachsatz „Und das ist gut so“. Denn niemand will, dass es ihn selbst hart trifft, das „Schicksal“, das keines sein müsste. Aber die „Schere zwischen Arm und Reich“ ist nur als Sprachbild etwas stumpf geworden, die faktischen sozialen Unterschiede wachsen. Scheren sind aus zwei beweglichen Klingen gebaut. Fehlt die Schraube in der Mitte, besteht die Gefahr, dass die sich kreuzen.

Heidi Korf

Bildquellen

  • arm-und-reich: Die Gnade der reichen Geburt führt - national oder global - immer noch in eine narzistische Illusion der Überlegenheit. Soziale Gegensätze., Foto: Promo

Ein Gedanke zu „Arm und Reich ist gar nicht gleich

  • Veronika M.

    Ein wenig muss ich diesem Bericht widersprechen: Deutsche Armut bedeutet auch hierzulande mittlerweile Hunger. Ein Hartz IV Empfänger muss von 350.- Euro monatlich leben. Ich wohne ungefähr 15 Kilometer außerhalb von Freiburg und besitze nicht die Möglichkeit, mich von sogenannten “Tafeln” zu verköstigen. Auch besitze ich nicht die Möglichkeit, in Discountern wie Lidl oder Aldi einzukaufen, da es die bei uns im Dorf nicht gibt. Um an einer Tafel für Bedürftige teilnehmen zu können, müsste ich nach Freiburg fahren. Hin und zurück wären dafür cirka 7,- Fahrtkosten fällig, die ich mir nicht leisten kann. Geschweige denn, eine Regiokarte für ungefähr 45.- €.

    Ermäßígungen für Fahrkarten gibt es zwar für Studenten und Schüler, aber nicht für Personen, die ganz unten in der Gesellschaft angelangt sind.

    Ab dem cirka 24. oder 25. eines jeden Monats, ist mein Kühlschrank leer und ich verspüre Hunger. Ernähre mich dann von trockenem Brot, manchmals Nudeln mit Ketchup (wenn noch vorhanden) und ein oder 2 Tage vor dem Ersten war es schon oftmals so, dass einfach überhaupt nichts mehr vorhanden war.

    Armut in Deutschland bedeutet mittlerweile auch Hunger. Und glauben Sie mir, ich bin nicht die Einzige, der es so ergeht. Auf dem Lande ist es noch schwieriger, mit nur 350.- € monatlich auszukommen.

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