Kunst

Salz küsst Moos: Zum 20jährigen Bestehen richtet das Museum Frieder Burda den Blick in die Zukunft: Vier Künstler:innen bespielen mit einer Installation je einen Raum des Museums

Wir leben im digitalen Zeitalter, wir verbringen viele Stunden vor dem Computer, es regnet Videoclips, die KI erschafft Kunstwerke und Deep­fakes lauern auf die Unvorsichtigen. Dazu die Endzeitstimmung, Stichwort „Klimawandel“. Wie schön ist es da, sich in die Natur zurückzuziehen, sozusagen einzukuscheln und in sie hineinzulauschen. „I feel the earth whisper“, „Ich fühle die Erde wispern“, heißt die Ausstellung im Museum Frieder Burda, und das ist durchaus wörtlich gemeint.
Patricia Kamp und Jerome Sens, das Kuratorenteam, spricht sogar davon, im Museum Waldbaden zu können. Ganz so ist es zwar nicht, aber das Grün der Lichtentaler Allee rund um das Museum mit seinen großen Fensterflächen ergänzt diese Schau perfekt. Vier Künstler waren eingeladen, mit einer Installation jeweils einen Raum zu bespielen. Ernesto Neto aus Brasilien hat aus farbigen, langen, schmalen Stoffbahnen einen 13 Meter hohen Stoff-Regen als Einfassung um seinen ebenfalls aus farbigen, langen schmalen Stoffbahnen gehäkelten Baum gezogen. „The Birth of Contemporous Blue Tree“ stellt so etwas wie eine Kreuzung aus einem riesigen Baum und einem großen Zelt dar. Man kann und soll ihn betreten, Sitzkissen laden zum Verweilen ein. Töpfe mit Kräutern stehen rund um die baumartige Skulptur, Trommeln rufen geradezu danach, für ein spontanes Percussion-Solo genutzt zu werden. Groß und Klein sollen sich wohlfühlen, meditieren, oder spielen.
Auch Sam Falls Installation will durch einen Vorhang betreten werden. In diesem Fall ist es ein glitzernder Vorhang aus vielen Schnüren mit Heilsteinen. Danach steht man zwischen großformatigen Bildern. Blätter, Blüten, Ranken, Farne, Gräser breiten sich auf den Leinwänden aus. Aber alle sind farblos, fast geisterhaft weiß, was an ein Foto-Negativ erinnert. Falls hat eine große Leinwand direkt im Schwarzwald ausgelegt und die Pflanzen darauf platziert. Im Lauf der Zeit haben sie diese geisterhaften Abdrücke auf der Leinwand hinterlassen. Zugleich haben die ausgebrachten Farbpigmente mit Sonne, Regen und Zeit reagiert, so dass die Pflanzenabdrücke eingebettet sind in sanfte, natürlich wirkende Farben. „Waldeinsamkeit“ ist eine ruhige, sehr harmonische Installation.
In Bianca Bondis Installation möchte man gleich einziehen. Noch ein paar gemütliche Sitzgelegenheiten, dann könnte man „Salt kisses my lichens away“ stundenlang genießen. Das Salz, das hier das Moos und die Flechten wegküssen soll, liegt auf dem Boden der wassergefüllten, orientalisch wirkenden Schalen. Aus hügeligen Mooslandschaften wachsen tote Äste in die Höhe. Die Wände feiern mit ihren Tapeten die Tradition des Naturdekors. Sie schaffen den idealen Rahmen für die verspielten Details der wohnzimmerhaften Installation. Bondi hat Wandteppiche mit Blütenständen geschmückt, hier eine Jugendstil-Seifenschale integriert, dort kleine goldfarbene Sonnengesichter untergebracht. Drinnen und Draußen sind in ihrer Installation keine Gegensätze. Im Lauf der Zeit sollen chemische Prozesse ihre Arbeit verändern. Ob damit gemeint ist, dass das Moos vertrocknet und Blütenblätter fallen? Über ihrer magischen Innen-Landschaft liegt ein Hauch von Vergänglichkeit.
Julian Charrière stellt auf zwei großen Bildschirmen zwei große Wälder einander gegenüber. Die Live-Video­verbindung zwischen dem Schwarzwald bei Baden-Baden und einem Küstenwald bei Ecuador stellt natürlich keine Kommunikation zwischen den beiden Wäldern her. Dafür kann sich der Mensch beim Betrachten dieser Wälder Gedanken machen, und am besten gleich etwas für den Erhalt des Waldes in Ecuador spenden. Nicht umsonst heißt diese Arbeit „Calls for Action“. Spektakulär sind die Fotoarbeiten. Sie zeigen Palmen, aus denen vermutlich Palmöl gewonnen wird, vor einem glühend roten Hintergrund. Das ist ästhetisch eindrucksvoll und wirft Fragen auf: brennt der Palmenwald? Oder ist es die Palmöl-Industrie, die Wälder brennen lässt? „Where clouds become smoke“ verfolgt jedenfalls nicht den Wohlfühl-Ansatz. Zum 20jährigen Jubiläum des Museums Frieder Burda richtet sich der Blick nicht zurück in die Vergangenheit, repräsentiert durch die Sammlung, sondern in die Zukunft.

„I feel the earth whisper“. Museum Frieder Burda, Lichtentaler Allee 8b, 76530 Baden-Baden, Di-So 10-18 Uhr. Bis 03.11.24

Bildquellen

  • Julian Charrière: „Western Andean Cloud Forest“, Ecuador, 2024 © Julian Charrière, VG Bild-Kunst, Bonn 2024;: Foto: Alcuin Stevenson