Theater

Nackt und bloß

Calixto Bieito inszeniert eine beklemmende Lulu am Theater Basel
Calixto Bieito inszeniert eine beklemmende Lulu am Theater Basel

Wenn Kamerateams schon vor der Premiere im Foyer filmen und in der Pause Zuschauer interviewt werden, dann liegt ein Skandal in der Luft. Der katalanische Regisseur Calixto Bieito, der in seinen Inszenierungen Sex und Gewalt ungeschönt auf die Bühne bringt (am Freiburger Theater wird der Katalane am 9. Mai „La vida breve“ inszenieren), hat sich am Theater Basel mit dem Sex-and-Crime-Stück der Operngeschichte auseinandergesetzt: Alban Bergs „Lulu“.
Die Geschichte vom Aufstieg und Fall einer Frau, von der „Allzerstörerin“, die „von allen zerstört ward“ (Frank Wedekind) ist nach wie vor ein Schocker, der sexuelle Obsessio­nen mit eruptiven Gewaltausbrüchen verbindet. Im Prolog präsentiert der Tierbändiger (zynisch: Andrew Murphy) schon einmal die Protagonisten als Tiere: das Bestiarium ist eröffnet. Immer wieder lässt Calixto Bieito diesen Tierbändiger auftreten. Mit einer Tüte Popcorn, die er auch dem Publikum anbietet, kommt er gelegentlich vorbei und schaut, wie sich seine menschlichen Bestien gegenseitig quälen. Das Blut auf der Bühne hinterlässt auch bei ihm Spuren. Er aber kaut weiter Popcorn. Gewalt als Unterhaltung, Sex als reine Triebbefriedigung – wieder einmal hält Bieito der voyeuristischen, verrohten Gesellschaft den Spiegel vor. Und die Kameras halten drauf.

Von Beginn an zieht diese „Lulu“ in Bann. Marisol Montalvo spielt und singt sie mal mit Intensität, dann wieder betont distanziert, fast gelangweilt. Stimmlich bewegt sie sich leicht und lyrisch durch den exzessiven Abend. Ihre Textverständlichkeit ist suboptimal, was aber nicht sehr ins Gewicht fällt. Dafür entfaltet Montalvo vor allem körperlich eine solche Präsenz, dass einem der Atem stockt. Im ersten Akt präsentiert sich Lulu in Dessous (Kostüme: Ingo Krügler). Ein Fotoshooting ist angesetzt, die Frau wird zum Star gemacht. Der Maler (sängerisch wie darstellerisch präsent: Rolf Romei) ist hier Fotograf. Die Bühne ist wie meist in Bieitos Inszenierungen eine Art Installation, in der die Beziehungen zwischen den Menschen bloßgelegt werden – kein Dekor lenkt ab.

Die fünf quer laufenden Stahlträger (Bühnenbild: Alfons Flores) erinnern an Bieitos Basler „Don Carlos“. Im zweiten Akt senken sich riesige Poster von der Bühnendecke, die Lulu nackt und zum Teil gefesselt in verschiedenen Posen zeigen. Selbst in ihrem eigenen Haus ist Lulu den geilen Blicken der Betrachter ausgeliefert. Und wenn Marisol Montalvo ganz am Ende ihre Hüllen fallen lässt und ganz nackt und verletzlich vor dem Publikum steht, um es noch ein letztes Mal auf Müllsäcken mit ihrem Mörder Jack the Ripper/Dr. Schön (beängstigend intensiv: Claudio Otelli) zu treiben, dann blickt man tief in die Seele dieser Frau. Tanja Ariane Baumgartner gibt die lesbische Gräfin Geschwitz als Frau ohne jeden Stolz, die sich für ihre geliebte Lulu demütigen lässt. In ihren vollen Mezzotönen spürt man das Leid dieser Liebenden. Auch Karlheinz-Heinz Brandt als geriatrischer Prinz, Erin Caves (Alwa) und Aurea Marston (Gymnasiast) erfüllen das hohe Niveau des Abends. Calixto Bieitos Inszenierung ist erschütternd und beklemmend, sensibel und radikal, klug und expressiv. Und da auch das Sinfonische Orchester Basel unter der Leitung von Gabriel Feltz an diesem Abend immer auf der Höhe des Dramas ist, wird diese „Lulu“ zu einem packenden, hochemotionalen Musiktheaterabend.

Weitere Vorstellungen:
9./15.3., 4./7.4., 4./7./10./16./23./30.5., 16.6.
Karten: www.thea­ter-basel.ch und Tel. unter 0041/ 61/2951133


Georg Rudiger


Durch die Nacht mit Calixto Bieito und Michel Houellebecq

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2 Gedanken zu „Nackt und bloß

  • Tobias

    Praktische Sache, wenn man seiner Frau sagen kann, dass man ins Theater geht, dort aber astreine Pornografie zu sehen bekommt. Weiter so, liebe Theaterschaffende, dann werden eure Theaterplätze auch wieder gut gefüllt werden.

  • es ist eh schon zu spät, wenn du ohne deine frau ins theater gehst.
    und so ein schmaler tipp ist auch nicht wirklich erhellend.

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