Kunst

Magische Wasserwelten: Die Fondation François Schneider in Wattwiller zeigt in der Ausstellung „Aqua Terra“ Keramikarbeiten 32 zeitgenössischer Künstler:innen

Eine Frau im Schlamm. Sie rutscht, watet, dreht und wendet sich im dunklen und kühlen Nass – um sie herum das Meer. Wie eine Kreatur des Wassers steigt sie empor, kämpft sich durch den Schlamm, nur um am Ende doch wieder eins mit dem Wasser zu werden. Dabei entstehen immer wieder temporäre Zeitskulpturen, die sich im lebenden Organismus verlieren. Alexandra Engelfriets Videoinstallation „Tracks in the Flats“ begrüßt die Besucher:innen der neuen Ausstellung „Aqua Terra“ der Fondation François Schneider in Wattwiller und nimmt vorweg, was die Betrachtenden in dieser Schau erwartet: die organische und manchmal auch magische Verbindung zwischen Mensch, Materie und Wasser.

Marie Heughebeart: „Tribord-Bâbord“ © steeve constanty

Insgesamt 32 zeitgenössische Künstler:innen zeigen ihre Werke auf drei Etagen – jedes Stockwerk taucht dabei ein bisschen tiefer in die Verbindung zwischen Erde und Meer ein, bis wir, das sei vorweg genommen, im Keller auf fantastische Unterwasserwelten stoßen. Verschiedene Themenbereiche führen uns durch die marinen Welten. „En Bord de Mer“ und „L‘horizon Marine“ begrüßen einen mit farbenfrohen Keramiken und Installationen auf der ersten Etage. Marie Heughebeart entwirft mit „Tribord-Bâbord“ eine ganze Strandkulisse. Im Mittelpunkt stehen engobiertes und glasiertes Steinzeug, welches auf Sand drapiert ist und den kindlichen Wunsch entfachten, Sanburgen zu bauen oder gar den Hochsitz für Rettungsschwimmer zu erklimmen. Eindrucksvoll ist auch die Installation „Virga“ der Künstlerin Cat Loray: von der Decke baumelnde Spitzen imitierend ein meteorologisches Phänomen, bei dem das Wasser nie den Boden berührt und in der Luft zu schweben scheint. Hierfür besitzt die Künstlerin knapp 1000 Stücke, die sie je nach Ausstellungsraum anordnet und ergänzt. Im Hintergrund gewährt eine Fensterfront den Blick auf den Skulpturengarten der Fondation Schneider – hinter dem Fenster versteckt sich eine Art Wasserspiel. Durch die Adern am Boden drängt sich das Wasser und stellt so eine Symbiose zwischen Ausstellung und permanenter Schau im Garten her: Wasser als Lebensquelle und -raum.

Eine Treppe hinab widmet sich „Fascination Glacée“ der Frage, welche Formen Wasser im gefrorenen Zustand annehmen kann: Eisberge, Schollen, deren Oberfläche beinahe einer optischen Täuschung ähneln, so sehr reflektiert ihre Oberfläche das Licht und lässt sie gefroren wirken. Prägnant sind Cécile Fouillades Werke, die während ihrer Residenz in Grönland entstanden sind. „Plage aux cétacés“ zeigt die Wirbel eines Belugawales – so fein ausgearbeitet und täuschend echt, dass man zweimal hinsehen muss. Besonders eindrucksvoll ist aber ihr zweites ausgestelltes Werk „Phoque annelé“. Hunderte kleine Keramikteile hat die Künstlerin aneinander genäht, wodurch eine Oberfläche entsteht, die beinahe perfekt das weiche Fell der Robben imitiert. Es sind heilige Tiere für die Indigenen Grönlands, der sich die Künstlerin in ihrer Arbeit mit sichtlicher Hingabe und Respekt annähert. „Stalaktos“ von Safia Hijos sucht den Dialog zwischen Natur und Architektur. Es wirkt poetisch, wie sich die Stalaktiten aus modeliertem und emailliertem Sandstein an die Wand schmiegen – kalter Stein wirkt auf einmal lebendig und dennoch eiskalt an der Oberfläche.

Safia Hijos: „Stalaktos“ © Safia Hijos

Nun heißt es Tauchermasken aufsetzen und in unendliche Meereswelten eintauchen. Hier begegnen wir wieder dem Menschen – oder vielmehr dem, was er zurückgelassen hat. Müll, Plastik, Ölspuren und gesunkene Schiffe machen einen Lebensraum zum wahrgewordenen Albtraum. Eine Muschel, aus der das Fruchtwasser in Form von Metall austritt, zeigt, wie der Mensch einen Lebensraum zerstört, den er nicht einmal sein Eigen nennen kann. Cordina & Mérovée Dubois Werk „Mein Er Mère“ sticht besonders hervor. „Mein Er Mère“, das ist der Name eines nur bei Ebbe sichbaren Menhirs, der am Ufer von Locmariaquer (Bretagne) zu finden ist. Seit der Jungsteinzeit existiert dieser Stein in dem Meer, das pro Jahrtausend um einen Meter angestiegen ist. Hügel wurden zu Inseln und der Lehm auf dem es ruhte, vermischte sich mit dem schlammigen Sand. So entsteht das sogenannte „Pech“, aus denen die beiden Künstler tausende Keramikstücken formten, die sie in das Skelett eines Bootes verflochten haben. Das Portrait eines sich wandelnden Lebensraumes.
Die letzte Station „Les gardiens des abysses“ öffnet wortwörtlich Tore in eine Welt fantastischer, maritimer Wesen. Hüter:innen des Meeres begrüßen die Besucher:innen und laden dazu ein, Mythen der Unterwasserwelt zu entdecken. Neptun erwacht zum Leben, eine Unterwasser-Medusa verzaubert und japanische Meereskreaturen verstören und faszinieren zugleich.
Diese Ausstellung gleicht einer Expedition in magische Wasserwelten und ist zugleich Abbild zeitgenössischer Keramik, die sich längst den Staub alter Tage abgeschüttelt hat. Absolut sehenswert.

Aqua Terre. Fondation François Schneider, 27 rue de la Première Armée, 68700 Wattwiller. Mi-So von 11-18 Uhr. Bis 22.09.2024

Bildquellen

  • Marie Heughebeart: „Tribord-Bâbord“: © steeve constanty
  • Safia Hijos: „Stalaktos“: © Safia Hijos
  • Cordina & Mérovée Dubois: „Mein Er Mère“: © Eva Bernard