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Französische Pfadfinderinnen im Widerstand gegen das NS-Regime

Nachdrücklich hat der Autor Thomas Seiterich die Geschichte einer Gruppe katholischer Widerstandskämpferinnen im Zweiten Weltkrieg erforscht; sie beginnt als die Wehrmacht am 15. Juni 1940 den Rhein überquert und die französischen Départements Elsass-Mosel annektiert werden. Um die Gleichschaltung im geplanten Gau-Oberrhein / Baden-Elsass voranzutreiben, hält sich Hitler vom 27. Juni – 6. Juli im Führerhauptquartier Tannenberg bei Freudenstadt auf, fährt ins Elsass und u.a. nach Freiburg. Am 13. Juli werden in den Annexionsgebieten Rassegesetze eingeführt, die jüdische Bevölkerung und andere „Unerwünschte“ ausgewiesen. Einer brutalen Repressionspolitik dient das SS-Lager Schirmeck-Vorbruck: „Umschulung“ von Lehrern und Verwaltungspersonal, und ab 1942, Zwangsrekrutierung für Wehrmacht, Waffen-SS und Reichsarbeitsdienst (RAD), auch für Frauen. Fluchtversuche werden mit Sippenhaft oder Tötung bestraft. Die elsässischen und lothringischen Eisenbahn-Strecken sind Anfang August 1940 den Reichsbahndirektionen Karlsruhe und Saarbrücken eingegliedert. Im September beginnt der Aufbau des KZ Natzweiler-Struthof. Die „Säuberung“ wird fortgesetzt, der Bischof von Straßburg verjagt, Priester getötet, die Synagoge angezündet …
Die Empörung der Bevölkerung wächst, auch in der katholischen Pfarrei St. Jean in Straßburg – und hier beginnen sechs junge Frauen ihr Leben zu riskieren. Die Pfadfinderin Marcelle Faber-Engelen gründete mit fünf anderen im Sommer 1940 die „Équipe Pur Sang“, ein Hilfswerk für Regimegegner und Verfolgte, das rund 500 Menschen über die Vogesen rettet. Sie erkunden die teils schwierige Landschaft, finden im Westen geheime Strecken über die Berge und im Süden in die Schweiz. Sie nutzen vier verschiedene Routen; unterwegs erhalten sie Hilfe von Verbündeten, Bauern, Eisenbahner, Wirte, Offiziere, Ordensschwestern und unscheinbare Privatpersonen stehen ihnen bei. 1943 greift sie die Gestapo auf; Freisler macht ihnen den Prozess, spricht sechs Todesurteile aus. Doch Papst Pius XII. erhebt Einspruch und Hitler begnadigt die Frauen tatsächlich, mit der Auflage, dass sie es nicht wissen dürfen. Dieses dramatische Stück Zeitgeschichte bringt uns Thomas Seiterich detailliert nahe. Aber nicht alle kamen so davon wie diese Frauen: Anfang 1943 etwa entziehen sich 18 junge Elsässer und Mosellaner der Zwangsrekrutierung, scheitern an der Schweizer Grenze und werden im KZ Natzweiler ermordet.
Die damaligen Fluchtwege, genannt „Sentier des Passeurs“, lassen sich auch heute erwandern und nachvollziehen, wenn man die nötige Kondition aufbringt. Im südlichen, mittleren und nördlichen Elsass sind einige der atemberaubenden Routen als Wander- und Erinnerungswege ausgeschildert (z.B. www.valleedelabruche.fr).

Thomas Seiterich. Letzte Wege in die Freiheit. Sechs Pfadfinderinnen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Nachwort von Pierre Kretz. Hirzel Verlag 2023

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  • Thomas Seiterich. Letzte Wege in die Freiheit. Sechs Pfadfinderinnen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Nachwort von Pierre Kretz.: Hirzel Verlag 2023