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In den Flammen der Niedertracht: „Die verbrannten Dichter“ – Ein epochales Buch in erweiterter Neuausgabe

Exil, so erfahren die Betroffenen jeweils schnell, bedeutet nicht nur Rettung, sondern auch fortwährend Einsamkeit, Hunger und Diskriminierung. Das erweist sich überdeutlich am Schicksal von Schriftstellern und Künstlern, die verfolgt wurden, nachdem die NS-Diktatur am 10. Mai 1933 die Kampagne „Wider den undeutschen Geist“ und die öffentliche Bücherverbrennung entfacht hatte. Tausende Druckerzeugnisse wurden an den Pranger gestellt und verboten. Nach 1945 war das missliebige Gedankengut nicht einfach und sofort wiederzuerlangen, viele Autoren waren gesundheitlich ruiniert, tot oder kamen nicht zurück nach Deutschland, ihr Besitz war verschollen oder mindestens beschädigt.

Mitte der 1970er Jahre veröffentlichte der Journalist Jürgen Serke in der Zeitschrift Stern erstmals eine Serie zu den damals verfemten Autorinnen und Autoren, er und der Fotograf Wilfried Bauer hatten viele von ihnen ausfindig gemacht, mit ihnen gesprochen und sie fotografiert. Aus Serkes Zeitungsserie ging 1977 das Buch „Die verbrannten Dichter“ hervor, das seitdem mehrere Editionen erlebte und nun in einer Neuauflage vorliegt, erweitert um Bildmaterial, zusätzliche Lebensläufe sowie aktualisierte Bibliographien. Als Serke vor rund fünfzig Jahren seine Recherchen begann, lebten viele der Verfemten noch, aber anscheinend interessierten sich nach Kriegsende wenige für sie und ihre ungünstigen Erlebnisse. Zwar gab es zum Thema Publikationen, etwa von Jörg Drews, Alfred Kantorowicz und Alfred Döblin; aber erst „Die verbrannten Dichter. Lebensgeschichten und Dokumente“ wirkten ausgesprochen elektrisierend auf die literarische Szene und machten diejenigen zunehmend bekannt, die vor der NS-Diktatur, und teils auch vor dem Stalinismus, hatten fliehen müssen.

Blättert man in dem gewichtigen Buch, dann stellt sich sofort Leselust ein, man wird wieder neugierig auf Hans Henny Jahn, Walter Hasenclever, Erich Mühsam, Else Lasker-Schüler, Klabund, Armin T. Wegner, u.v.a. Deren Bücher handeln von den gesellschaftlichen Problemen der Zwischenkriegszeit und dem Kampf gegen katastrophale ideologische Entwicklungen, die in die Diktatur führten. Viele Werke der „Verbrannten“ waren in den 1920er Jahren sehr bekannt, ruft Jürgen Serke in Erinnerung, etwa „Hoppla, wir leben!“ (Ernst Toller), „Das kunstseidene Mädchen“ (Irmgard Keun), „Das Trottelbuch“ (Franz Jung), „Das Lächeln Voltaires“ (Ivan Goll), „Zuchthausbriefe“ (Max Hoelz), „Tiere in Ketten“ (Ernst Weiß), „Verbannung“ (Max Herrmann-Neiße), „Berlin Alexanderplatz“ (Alfred Döblin), „Wir sind Gefangene“ (Oskar Maria Graf), „Von den Irrtümern der Liebenden“ (Franz Hessel), „Das verlorene Kind“ (Rahel Sanzara); nicht zu vergessen die Industriereportagen von Paul Zech und Paul Kornfelds Theaterstücke. Nach 1933 erzählen viele dieser Autoren von irrsinnigen Fluchtrouten, verzweifelten Trennungen, Rettungsaktionen sowie von politischen Querelen, die sich in der Fremde fortsetzten. Jürgen Serke hat sie zum Reden gebracht, da er endlich zu ihnen kam – nach Jahren der Unsichtbarkeit im Abseits. Man blättert zunächst in diesem Buch, schaut sich manche Fotos lange an und taucht Zug um Zug in außergewöhnlich packende Lebensgeschichten ein.

Walter Mehring veröffentlichte 1934 seine ersten Emigrationsgedichte „und Euch zum Trotz“:

„(…) Werft eure Herzen über alle Grenzen!
Und wo ein Blick grüßt, werft die
Anker aus!
(…)
Baut euch ein Nest! Vergeßt!
Vergeßt!
Was man euch aberkannt und
euch gestohlen!
(…)
Die ganze Heimat und
Das bißchen Vaterland
Die trägt der Emigrant
Von Mensch zu Mensch
Von Ort zu Ort
An seinen Sohlen
In seinem Sacktuch
Mit sich fort (…)“.

Jürgen Serke beleuchtet in seinem Buch auch Schriftsteller, die nicht sofort auf dem Index standen, aber dennoch auf der Flucht und in Lagern ermordet oder „nur“ zermürbt wurden, zwischen Angst, Verzweiflung, Aus- oder Einreisefristen, mangelnden Papieren, fehlendem Geld und Bewilligungen, darunter Gertrud Kolmar, Adam Kuckhoff, Salomo Friedlaender/Mynona und Carl Einstein. Erzählt wird zudem die atemberaubende Geschichte von Hermann Adler, der mehreren Lagern entkam, riskanten Rettungswiderstand leistete und schließlich nach Basel gelangte. Ein Kapitel ist dem fulminanten Parcours von Georg K. Glaser gewidmet; in Rheinhessen geboren (1910), floh er vor den Nazis nach Frankreich, geriet in deutsche Kriegsgefangenschaft, entkam und gelangte nach Paris zurück, wo er bis 1995 lebte; neben dem Schreiben arbeitete er als Kupferschmied. Zunächst stand er dem Kommunismus nahe, kannte Seghers, Koestler und Becher; bald jedoch widerspricht er in seinen Texten allem Ideologischen. Sein Hauptwerk „Geheimnis und Gewalt“ konnte zunächst nur auf Französisch erscheinen (1951). Serkes Forschungen zu Lebensläufen und Werken NS-Verfolgter, könnten noch beträchtlich erweitert werden, etwa um die Künstler und Schriftsteller Kurt Schwitters und Raoul Hausmann oder die Lyrikerin Mascha Kaléko, die nach dem Exil in den USA den „Fontane-Preis“ ablehnte, den man ihr aus Deutschland 1960 verleihen wollte; auf ihre kritische Anmerkung, dass in der Jury ein ehemaliges SS-Mitglied säße, erfolgte eine harsche Antwort.

Das Auftauchen der Opfer nach dem Krieg scheint für viele „Dagebliebene“ eine Bedrohung gewesen zu sein, sie wollten möglichst nicht mit ihnen behelligt werden. In dem Roman „Die unsichtbare Wand“ des Prager Autors H.G. Adler, der Auschwitz entkam und 1988 im Londoner Exil verstarb, sagt der Gesinnungsassessor zum Überlebenden: „Gut. Und Sie leugnen auch nicht, dass man Sie schon einmal abgeschafft hat, was sie aber bei Kriegsende nicht gestört hat, zurückzukehren.“ Die finstere NS-Kampagne gegen Kunst, Geist und Humor hat Schäden hinterlassen, ist glücklicherweise aber nicht gelungen, obwohl sich damals nicht nur die Bücherschränke leerten, sondern bis Kriegsbeginn etwa eine halbe Million Künstler, Wissenschaftler, Intellektuelle und Journalisten das Deutsche Reich und Österreich verließen. Zu den wichtigsten Exilländern gehörte zunächst Frankreich, wo Alfred Kantorowicz am 10. Mai 1934 in Paris die „Deutsche Freiheitsbibliothek“ eröffnete. Heute befasst sich mit der Thematik wahrscheinlich nur eine kleine Bevölkerungsschicht, die am Widerstand gegen die Gefährdungen der Demokratie interessiert bleibt.

Eigentümerin der Sammlung Jürgen Serke ist seit einiger Zeit die „Bürgerstiftung für verfolgte Künste – Else Lasker-Schüler-Zentrum – Kunstsammlung Gerhard Schneider“; das „Museum Zentrum für verfolgte Künste“ in Solingen (www.verfolgte-kuenste.de) verwahrt die Bestände.
• Jürgen Serke. Die verbrannten Dichter. Lebensgeschichten und Dokumente. 350 S., ca. 280 farbige Abbildungen. Wallstein Verlag 2023

Bildquellen

  • „Die verbrannten Dichter“: Wallstein Verlag
  • Jürgen Serke: Foto: Karel Cudlín