Kunst

Unkonventionelle Schönheit auf riskanten Wegen: „Suzanne Valadon. Eine eigene Welt“ im Centre Pompidou Metz

Das Künstlerviertel Montmartre war für sie Akademie, Heimat und Paradies. Wollte eine Frau sich zu Zeiten von Suzanne Valadon, geborene Marie-Clémentine Valadon (1865-1938), zur Malerin emporschwingen, war Abenteuer angesagt. Nicht umsonst spielt der Titel einer Werkschau im Centre Pompidou-Metz auf Virginia Woolfs „Ein Zimmer für sich allein“ an, war weibliche Eigenständigkeit doch damals kaum selbstverständlich. Als Tochter einer Wäscherin kam sie 1870 nach Paris, es fand gerade Krieg statt, danach die Niederschlagung der Pariser Kommune. Valadons Schulzeit endete mit elf Jahren, sie arbeitete als Hutmacherin und Gemüseverkäuferin; jedoch war sie auch eine frühreife Schönheit, lernte Künstler kennen und trat kurz im Zirkus Mollier auf.
Bald arbeitete sie als Modell für verschiedene Maler, darunter Puvis de Chavannes, Pierre-Auguste Renoir, Henri de Toulouse-Lautrec; von diesen lernte sie durch Beobachten, hatte mit einigen vermutlich auch Affären – jedenfalls finden wir sie in zahlreichen Gemälden dargestellt. Toulouse-Lautrec gab ihr den Künstlernamen Suzanne, da Marie seiner Ansicht nach zu brav klinge; Edgar Degas bewunderte an ihren Zeichnungen den „gleichzeitig harten und weichen Strich“, er brachte ihr die Kunst der Radierung bei und macht Sammler auf sie aufmerksam. 1894 war Valadon erstmals öffentlich in einem „Salon“ präsent, aber erst 1915 fand in der Pariser Galerie Berthe Weill eine Einzelausstellung statt. Doch bereits zu Lebzeiten wird sie über Frankreich hinaus bekannt und hinterlässt ein Gesamtwerk mit fast 500 Gemälden, 300 Zeichnungen und Drucken; das Centre Pompidou besitzt den größten Teil.
Untrennbar gehört ihre Geschichte zum Montmartre-Hügel (frz. la butte), einem kunstgeschichtlich kaum zu überbietenden Ort in Europa, da nirgendwo sonst im 19. und 20. Jahrhundert so viele Talente auf relativ kleinem Raum lebten, Impressionisten, Expressionisten, Kubisten sowie Künstler, die keiner eindeutigen Stilrichtung oder Schule verpflichtet waren, darunter Valadon; zu ihren Markenzeichen gehören Linienführung, naturalistischer Blick, Helligkeit in den Bildern und satte Koloration. Im Zuge ihrer Entwicklung wendet sie sich sukzessive der Farbe zu, schafft markante Porträts, etwa von Erik Satie (1893), Genreszenen und gewagte Akte, so 1909 „Sommer“ oder „Adam und Eva“, ein Selbstporträt mit ihrem jungen Liebhaber André Utter. Das war eine Tabuverletzung, erstmals wagte es eine Frau einen Mann nackt darzustellen; um das Bild zeigen zu dürfen, musste sie Adams Geschlecht mit einer Ranke bedecken. Von Darstellungsverboten zeugt auch das Gemälde „Lebensfreude“ (1911). Da sie ein exzentrisches Leben in einer Pariser Schicksals-Revue führte, gibt es natürlich viel Anekdotisches und Sensationelles über sie zu berichten. Ihre Biographie ist auch kaum von der ihres Sohnes Utrillo (1883-1955) zu trennen, der nach Suchterkrankung ein bedeutender Maler wurde; die Vaterschaft hatte der Kunstkritiker Miguel Utrillo y Molins anerkannt. Eine vorübergehende Liaison war auch Valadons Ehe mit dem Bankier Paul Mousis, eine gesicherte Existenz konnte sie nicht festhalten. Mit André Utter und Maurice Utrillo führte sie eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft in der Rue Cortot auf dem Montmartre. Ihr letzter heißer Verehrer war ein Maler und Gitarrenspieler namens Gazi.
Die Ausstellung im Centre Pompidou-Metz ist nicht chronologisch aufgebaut, sondern regt zum erweiterten Nachdenken an, indem Suzanne Valadon bewusst in Dialog mit Werken von Cézanne, Gauguin, Matisse, Vallotton und Balthus gebracht wird, die aufgrund von Thematik und Stil auf ihr künstlerisches Umfeld weisen. Nach VALADON sind ein Asteroid (6937) und ein Venuskrater benannt. War sie ein Stern am Himmel? Jedenfalls: ein Lichtblick im Weltmist. Ihre Atelier-Wohnung beherbergt heute das prickelnde Musée de Montmartre / Jardins Renoir (www.museedemontmartre.fr).

Suzanne Valadon. Un monde à soi / Eine Welt für sich. Centre Pompidou-Metz. Bis 11.09.2023

Bildquellen

  • Suzanne Valadon: „La Chambre bleue“, 1923: © Centre Pompidou, MNAM-CCI, Dist. RMN-Grand Palais / Jacqueline Hyde