Dunkle Poesie: Dreiteiliger Ballettabend am Staatstheater Hannover
Das Dunkle fasziniert von jeher die Künstler, sie beschäftigen sich mit dieser Seite des Lebens, da sie nicht selten auch selbst von Abgründen geplagt werden. Inspiriert von dem Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan entwirft Marco Goecke, Ballettdirektor in Hannover, ein Programm, das sich der verletzlichen Seite des Menschen widmet. Das Zitat aus dem Gedicht von Paul Celan: „Wir sehen uns an, wir sagen uns Dunkles“, ist dann auch Titel gebend für den dreiteiligen Ballettabend am Staatstheater Hannover.
Den Anfang macht „Gods and Dogs“ von Altmeister Jiří Kylián, ehemals Direktor des NDT, der mit seiner eleganten und feinsinnigen Art zu choreografieren ganze Generationen in Begeisterung versetzt hat. Er thematisiert den Grenzbereich zwischen Normalität und Wahnsinn. Zu Beginn steht ein Tänzer einfach da wie ein griechischer Apoll, während die Bühne sich langsam mit dynamisch tanzenden Figuren füllt, als plötzlich hinter seinem Rücken eine Tänzerin auftaucht, ihm sinnbildlich „aus der Rippe fällt“. Die virtuose Choreografie zieht nach und nach in ihren Bann, nicht zuletzt durch die interessante Musik-Sound-Collage von Dirk Haubrich, der Beethovens Streichquartett Nr.1 strukturell verwebt mit computergenerierten, ebenso sphärischen wie percussiven Klängen. Die Choreografie wirkt erfrischend jung: mit Tempo, Bewegungswitz und regelrecht durchgedrehten Passagen. Die Paare tanzen bei Kylián trotz allem Lebenskampfes immer einander zugewandt, sich gegenseitig unterstützend, dies hat etwas Tröstliches. Am Ende dann ein Bild, das sich tief einprägt: der Tänzer wird zur Silhouette, auf deren Körper sich in Lichtreflexen – zum Sound einer tiefen Basstrommel – seine eigenen inneren Kämpfe widerspiegeln.
Die Choreografie des Mittelteils „Skew-Whiff“, zu Deutsch: windschief, von Sol León und Paul Lightfoot – beide ehemalige Tänzer bei Jiří Kylián – nähert sich der Thematik des Verrücktseins auf humorvolle Art. In einem schier unglaublichen Akt der tänzerisch-physischen Verausgabung tanzen sich drei Männer und eine Frau durch die skurrilsten und verrücktesten Situationen hindurch. Angetrieben von der unaufhaltsamen Dynamik von Rossinis Ouverture zur Oper „Die diebische Elster“, bewältigen sie diese tänzerische „Tour de Force“ so bravourös, dass sie am Ende mit Applaus überschüttet werden.
Der Schluss des Abends wird dann von Marco Goecke mit seiner Choreografie „Wir sagen uns Dunkles“ bestritten. Es wird im Wechsel zur Musik von Schubert, Schnittke und der Popband Placebo getanzt. Dieser Wechsel zwischen live gespielt und Musik vom Band ist nicht gerade glücklich. Aber Reibung und Brüche können als Goeckes Markenzeichen begriffen werden. Er nimmt die Zuschauer mit in ein schaurig-schönes Szenario der menschlichen Verletzlichkeit, in eine enigmatische, eckige Tanzerzählung, die sie in eine Unruhe versetzt, die niemals aufgelöst wird. Männersoli wechseln ab mit sperrigen Duetten, in denen wohl die Sehnsucht nach Begegnung, nie aber deren Erfüllung gezeigt wird. Ein Stil hochenergetischer Verausgabung, faszinierend und frustrierend zugleich. Eine Ode an das Dunkle.
Bildquellen
- Davide Sioni und Chiara Pareo in Marco Goeckes „Wir sagen uns Dunkles“: Foto: Ralf Mohr