InterviewKunstMixtape

Im Gespräch: Daniel Vollmer und John Massoud, Mitglieder des DELPHI_space

In der Beurbarung bereichert seit 2019 ein Kunstraum die Freiburger Kulturlandschaft. Der DELPHI_space versteht sich selbst als künstlerische Plattform – frei zugänglich, nicht kommerziell, generationsübergreifend und interkulturell wird hier monatlich zu Ausstellungen regionaler und überregionaler Künstler*innen geladen. Im November 2021 konnte der DELPHI_space/gvbk realisiert werden – ein Zwischennutzungsprojekt in der Bismarckallee 18-20, wo bis voraussichtlich Ende März kostenfreie und kunstvermittelnde Veranstaltungen stattfinden. Elisabeth Jockers sprach mit Daniel Vollmer und John Massoud.

Kultur Joker: Das Orakel von Delphi war für Bürger*innen eine Art Anlaufstelle, wo sie Rat und Denkanstöße zu politischen, gesellschaftlichen oder philosophischen Fragen fanden. Wie versteht ihr denn euer Delphi?

Daniel: Als Max Siebenhaar und ich uns nach dem Studium die Kultur- und Kunstaussichten in Freiburg angesehen haben, fanden wir unsere Vorstellung nicht repräsentiert. Wir standen vor der Entscheidung, entweder in eine andere Stadt zu gehen oder selbst etwas zu machen. Max hat sich in seiner Abschlussarbeit eingehend mit Delphi und dem Orakel beschäftigt – letztendlich war der Name auch sein Impuls. Im Ansatz waren wir uns direkt einig, denn die Kunstszene ist für uns nur die eine Seite, auf der anderen steht für uns die Niederschwelligkeit eines Kulturraums. Jede*r soll sich eingeladen fühlen, egal, ob mit oder ohne Kunst- oder Kulturbackground.

John: Im DELPHI_space kann im Grunde auch jede*r Mitglied werden. Am meisten freuen wir uns darüber, wenn Leute einfach vorbeikommen, Interesse zeigen und wir gemeinsam schauen, wo man sich einbringen kann.

Kultur Joker: Daniel, du hast gerade angesprochen, dass Max und du darüber nachdachten, Freiburg zu verlassen, da für junge Kulturschaffende die Perspektiven fehlen.

Daniel: Ein Grund ist mit Sicherheit eine fehlende öffentliche Kunsthochschule. Nach der Schließung der Außenstelle der Karlsruher Akademie ist da viel verloren gegangen – und das leider ersatzlos.

Kultur Joker: Welche Ansätze verfolgt der DELPHI_space?

Daniel: In Freiburg gibt es wenig Kollektive, insbesondere im Kunstbereich. Im DELPHI_space versuchen wir das zu ändern – wir bringen Künstler*innen aus Freiburg mit Kunstschaffenden aus ganz Deutschland in Gruppenschauen zusammen und versuchen so, neue Verbindungen zwischen Künstler*innen zu initiieren.

Kultur Joker: Wir haben schon oft gehört, dass Kultur in Freiburg mehr nebeneinander als miteinander stattfindet…

Daniel: Es gibt nicht viele Verknüpfungspunkte – vor allem nicht regelmäßig und an einem Ort. Diese zu schaffen und interdisziplinär zu arbeiten, war von Anfang an unser Ziel – wofür Delphi als antike Stätte ja auch steht. Einen Austausch zwischen den Kulturen, aber auch den verschiedenen Disziplinen zu schaffen – und das an einem Ort wie in der Emmendingerstraße, der sonst nicht gerade vor kulturellen Angeboten strotzt.

Kultur Joker: Euer aktuelles Projekt ist die Zwischennutzung in der Bismarckallee. Was ist der Kerngedanke hinter diesem Projekt?

John: In vielen anderen Städten gibt es bereits ähnliche Zwischennutzungsprojekte. Die Idee hat uns gefallen: Kultur sickert in die temporären Leerräume, die beispielsweise durch Mietlücken entstehen. Das trägt dazu bei, dass sich das Spannungsverhältnis zwischen Kultur und Wirtschaft, bei dem die Verliererin schon feststeht, etwas löst.

Daniel: Im Grunde waren Zwischennutzungen wie diese die logische Konsequenz der Idee von Delphi. Im gvbk konnten wir noch einmal mehr interdisziplinäre Kooperationen umsetzen, z.B. mit dem Koki, dem Tanznetz, dem Literaturhaus oder dem aka Filmclub.

Kultur Joker: Also habt ihr mit dem gvbk einen Raum geschaffen, in dem sich die regionale Kulturszene vernetzen kann.

Daniel: Ja, tatsächlich hat mir erst gestern Julia Klockow – die hier im gvbk die Performing Mondays kuratiert – erzählt, dass Gäste über uns zum ersten Mal zu Tanzveranstaltungen im E-Werk gefunden haben. Es findet also ein Rückkopplungseffekt in andere Kulturinstitutionen statt – da bekam ich kurz leuchtende Augen (lacht).

Kultur Joker: Gibt es weitere zukünftige Zwischennutzungen?

John: Hoffentlich. Aber eigentlich ist es logisch: Leerstand bedeutet Verlust für alle, während von kulturellen Zwischennutzungen alle profitieren. Wir möchten weiterhin ähnliche Projekte ermöglichen, ob in durchführender oder beratender Funktion.

Daniel: Das Institut für Angewandte Lebensfreude hat uns von Beginn an unterstützt – die sind ja mittlerweile alte Hasen und kennen sich mit Zwischennutzungen und den nötigen Anträgen dafür aus (lacht). Unser dadurch erlerntes Wissen möchten wir nun gerne weitergeben. Ob in einem öffentlichen Leitfaden oder auf Nachfrage.

John: Die Stadt, Eigentümer und Immobilienfirmen erkennen die Vorteile sicher selbst: Zwischennutzungen können die Nebenkosten decken, wirken der Verwahrlosung der Gebäude entgegen und beleben den Standort. Das ist eine gewinnbringende Situation für alle Seiten.

Kultur Joker: Lieber Daniel, lieber John, wir sind gespannt auf eure zukünftigen Projekte.

Weitere Infos zum DELPHI_space: www.delphi-space.com

Bildquellen

  • Daniel Vollmer und John Massoud vor dem DELPHI_space/gvbk: Foto: Elisabeth Jockers