KunstMixtapeStadtleben

Auf einen Kaffee mit… Corner e.V. / Über Freiflächen, missverstandene Graffiti und Empowerment

Wir stehen mit Anna und Ise auf dem schmalen Fußgängerstreifen unterhalb der Schwabentorbrücke. Wir stehen vor großen farbigen Graffiti, die man aus der Nähe gar nicht überschauen kann. Instinktiv will man ein paar Schritte zurück, wäre dann aber schon ins eisige Wasser der Dreisam getreten. Ise kennt das Problem. „Wie soll man hier sprayen und dabei Abstand zu vorbeigehenden Personen halten? Faktisch geht das gar nicht.“ Faktisch ist das aber eine der vielen Maßgaben dafür, wie auf den Freiflächen gesprayt werden darf. Als Problem sehen beide auch die wenigen Mülltonnen, die für die verpflichtende Entsorgung des Materials an vielen Freiflächen zur Verfügung stehen. Anna ist dennoch dankbar für die insgesamt 14 Wände in Freiburg, auf denen legal und farbenfroh gesprayt werden kann. Die Dreisamwand sticht noch einmal hervor. Auf ihr finden 8–10 breitflächige Bilder Platz. „Die Leuten malen gerne hier. Die Wand ist sehr sichtbar und eignet sich super für konzeptuelle große Graffiti.“
Anna und Ise sind seit der Gründung 2018 Teil des eingetragenen, gemeinnützigen Vereins Corner e.V. Innerhalb des vielfältigen Vereinsprofils vertreten sie den Bereich „Graffiti“. Ein Bereich, der für ein Empowerment der Subkultur steht, immer aber auch mit Vorurteilen zu kämpfen hat. Dass Graffiti den Straftatbestand einer Sachbeschädigung erfüllen kann, versteht Ise, dass ein Verein wie Sicheres Freiburg Graffiti und notwendige Gewaltprävention zusammenbringt aber nicht: „Was hat Graffiti bitte mit Gewalt zu tun?“
Endlich im Warmen und mit einem Kaffee in der Hand kommen die beiden auf ein weiteres Problem zurück: Die Sorge vor einer Politisierung der Street Art. Jegliche politische Äußerungen auf den Freiflächen sind untersagt. Ise wundert sich über das generelle Verbot: „Was ist denn nicht politisch? Ich finde, dass gerade Themen wie Feminismus, Klimaaktivismus oder Antirassismus auf Freiburgs Wänden Platz finden sollten.“ Auch für Anna bleibt unverständlich, warum man die großen Freiflächen nicht für politisch empowernde Botschaften nutzen soll. Es sei schade, wenn Sprayer*innen im Vorhinein schon entmutigt werden, sich politisch zu äußern. „Dabei kann man mit Graffiti viele Menschen erreichen und zum Nachdenken bringen.“
Längst kümmern sich Ise und Anna selbst um Empowerment. Nicht nur führen sie Neugierige mit Graffiti-Touren durch ein buntes Freiburg, sondern bieten auch Workshops an. Zuletzt hatten sie mit Kindern und Jugendlichen zusammengearbeitet. Workshops für Erwachsene sollen folgen. Das Interesse ist da. „Wenn wir öffentliche Aktionen veranstalten, sind die meisten Menschen interessiert.“ Anna und Ise grinsen über ihren Tassen. Sie können sich sicher sein: Freiburg und Graffiti, das passt zusammen.

Weitere Infos: www.cornerev.de

Bildquellen

  • Auf einen Kaffee mit… Corner e.V.: Foto Corner e.V.
  • Ise und Anna im Gespräch: Foto: Kultur Joker