Im Gespräch: Hermann Hirsch und Dieter Schonlau, Naturfotografen
Zwei Menschen, eine Leidenschaft: Hermann Hirsch und Dieter Schonlau sind herausragende Naturfotografen, die für das perfekte Bild alles geben. Hirsch, jung und enorm kreativ, nimmt am liebsten die heimische Wildnis in den Sucher, während es den National Geographic-Fotografen Schonlau seit Jahren in abgelegene Regenwaldgebiete zieht. Beim 17. Mundologia-Festival im Konzerthaus Freiburg haben die Fotografen die Natur aus ungewohnten Perspektiven gezeigt. Im Interview berichten sie von Herausforderungen, Lieblingstieren und magischen Momenten im Dschungel.
UNIversalis: Muss man als Naturfotograf Tiere lieben?
Schonlau: Definitiv. Das ist die wichtigste Voraussetzung für einen Naturfotografen. Man muss von dem begeistert sein, was man fotografieren möchte, sonst wird man kein gutes Foto machen.
Hirsch: Ich liebe Tiere auf jeden Fall. Das ist mit Sicherheit hilfreich. Gerade hier in unseren Breiten ist es gar nicht so einfach an Tiere heranzukommen. Man muss sich wirklich mit ihnen auseinandersetzen, um zu wissen, wann und wo sie sind und was sie da tun. Das erfordert Zeit und bedeutet viel Aufwand im Vorfeld. Wenn man sich für das Tier nicht interessiert, wird man die Energie dafür nicht aufbringen. Ich beschäftige mich zum Beispiel seit einigen Monaten mit Rebhühnern, habe sie aber erst einmal so gesehen, dass ich sie hätte fotografieren können.
UNIversalis: Was macht für Sie den Reiz des Genres Naturfotografie aus?
Hirsch: Das sie nicht so wirklich planbar ist. Ich mache auch Hochzeitsfotografie, da kann man alles bis ins Detail vorplanen, das Bild quasi auf dem Papier entwerfen und dann nur noch umsetzen. Wildtiere haben ihren eigenen Kopf, können den ganzen Tag machen, was sie wollen.
Schonlau: Ich war als Kind schon gerne in der Natur unterwegs. Meine erste Kamera habe ich mit 14 bekommen. Mit der habe ich dann versucht Eichhörnchen zu fotografieren. Was mich an der Fotografie im Regenwald besonders reizt, sind die Schwierigkeiten, mit denen man konfrontiert ist. Manchmal muss man Wochen oder sogar Monate darauf warten, bis man bestimmte Tiere vor die Linse bekommt.
UNIversalis: Mit welchen Herausforderungen ist man als Fotograf sonst noch im Regenwald konfrontiert?
Schonlau: Eigentlich spricht im Regenwald alles gegen die Fotografie. Es ist extrem heiß, es herrscht eine extrem hohe Luftfeuchtigkeit, man muss ständig Linse und Okular putzen, die Lichtverhältnisse sind sehr schwierig. Gerade mal ein Prozent des Sonnenlichtes erreicht den Boden. Es ist eher eine Schattenwelt mit starken Kontrasten. Und obwohl es der artenreichste Lebensraum der Erde ist, sieht man praktisch keine Tiere, gerade wenn es ein intakter Regenwald ist. Sie machen sich unsichtbar, sind gut getarnt oder leben oben in den Baumkronen.
UNIversalis: Und wie schaffen Sie es trotzdem, Tiere vor die Kamera zu bekommen?
Schonlau: Mit viel Liebe, Ausdauer und warten, warten, warten. Wir hatten außerdem das Glück, dass uns Ureinwohner beigebracht haben, den Regenwald zu lesen und Tiere im grünen Durcheinender des Urwaldes zu entdecken.
UNIversalis: Konnten sie Ihnen auch Tipps gegen Moskitoschwärme und Blutegel geben?
Schonlau: Es gibt intensiv nach Knoblauch oder Zitrone riechende Rinden, mit denen sie sich einreiben. Bevor wir in den Wald gehen, besorgen wir uns vor Ort jedoch ein effektives Mittel gegen Mücken. Sinnvoll sind zudem lange Hosen und Shirts. In der Abenddämmerung, wenn die Mücken am aktivsten sind, schlüpft man am besten unter ein Moskitonetz. Gegen Blutegel kann man sich kaum schützen. Wir haben vor allem in der Regenzeit Anti-Blutegel-Socken an, aber sie kommen nicht nur von unten, sondern lassen sich auch von oben auf unsere Köpfe und Schultern fallen. Sie sitzen dann im Nacken und überall. Anfangs hat uns das gestört, mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt. Man spürt deren Biss auch nicht, man merkt es erst, wenn einem neben Schweiß auch Blut am Körper herunter rinnt.
UNIversalis: Wie kommt die Kameratechnik mit der hohen Luftfeuchtigkeit klar?
Schonlau: In den 13 Jahren, die wir insgesamt im Regenwald verbracht haben, hatten wir noch nie Probleme mit der Kameraausrüstung. Vor vielen Jahren hatte mal ein Käfer seine Eier in mein Objektiv gelegt. Keine Ahnung, wie der da rein kam. Irgendwann begann es in der Optik überall zu krabbeln.
UNIversalis: Haben Sie eine Tiergruppe, die Sie am liebsten fotografieren?
Schonlau: Eigentlich finde ich vom Blutegel bis zum Elefanten alles spannend. Im Regenwald habe ich über die Makrofotografie eine Welt entdeckt, die mich absolut fasziniert. Was die Natur dort hervorgebracht hat, verschlägt mir den Atem.
Hirsch: Ich finde Flussseeschwalben und Küstenseeschwalben unglaublich cool. Das ist für mich der Inbegriff eines Vogels, so elegant und schön. Die Küstenseeschwalben sind zudem Rekordhalter bei der längsten Zugstrecke – 40.000 Kilometer zwischen Brut- und Wintergebiet. Das traut man so einem kleinen Tier gar nicht zu. Aber eigentlich kann ich mich für jeden Vogel und jedes Wildtier begeistern, das hier in Deutschland lebt. Seltene Tiere wie das Rebhuhn haben noch mal einen eigenen Charakter, weil sie einfach so schwer zu beobachten sind.
UNIversalis: Wie gehen Sie genau vor? Sitzen Sie im Tarnzelt, schlagen Sie sich durchs Unterholz, um Tiere aufzuspüren?
Hirsch: Oftmals streife ich mit der Kamera einfach so durch die Gegend und schaue, was ich zufällig vor die Linse bekomme. Bei einem Projekt wie den Rebhühnern, die ich von A bis Z in ihrem Lebensraum fotografieren will und eine richtige Geschichte daraus machen möchte, bin ich lange auch ohne Kamera draußen. Ich versuche ihre Verhaltensweisen kennenzulernen und herauszufinden, wo sie sich aufhalten. Häufig arbeite ich mit Wissenschaftlern zusammen. Erst später setze ich mich getarnt an die entsprechenden Orte, um zu fotografieren.
UNIversalis: Herr Schonlau, wie kann man sich Ihren Aufenthalt im Dschungel praktisch vorstellen?
Schonlau: Meine Frau Sandra und ich schlagen unser Basislager immer in der Nähe eines Flusses auf, so haben wir Trinkwasser, können Fische angeln und haben eine Möglichkeit uns zu waschen. Die tägliche Köperhygiene ist sehr wichtig, sonst hat man ruckzuck Pilze auf der Haut. Von da aus gehen wir sehr vorsichtig in den Wald. Wir machen keine abenteuerlichen Trekkingtouren, sondern sind sehr langsam unterwegs, wir wollen ja Tiere entdecken. Wir waren schon oft mit Ureinwohnern unterwegs und die gehen lautlos, Schritt für Schritt und achten dabei auf jedes Geräusch. So machen wir das auch.
UNIversalis: Wie groß ist Ihr Bewegungsradius?
Schonlau: Wir gehen etwa vier Stunden in den Wald hinein und machen uns am Nachmittag auf den Rückweg. Und dann gehen wir in der Dunkelheit nochmal los. Wir sind auch jede Nacht im Regenwald unterwegs.
UNIversalis: Wie schafft man es, auch nachts immer den Weg zurück zu finden?
Schonlau: Wir haben in den 30 Jahren nur zweimal nachts die Orientierung verloren. Wir sind dann nicht planlos weitergelaufen, sondern haben dort, wo wir nicht mehr weiter wussten, die Nacht verbracht. Am nächsten Morgen war der Weg wieder gut zu erkennen. Wir gehen nachts im Wald immer nur auf Wegen, die wir am Tag schon gegangen sind. Wir merken uns bestimmte Bäume, setzen Markierungen, knicken Äste.
UNIversalis: Ist man verloren, wenn man sich im Regenwald verläuft?
Schonlau: Ich würde sagen, ja. Wir sind oft sehr tief drin im Wald. Wenn man da die Orientierung verliert, Panik bekommt und in die falsche Richtung geht, findet man nur mit sehr viel Glück wieder zurück. Das große Problem ist, dass alles relativ gleich aussieht.
UNIversalis: Sind Ihnen im Urwald mal unerwartet Menschen begegnet?
Schonlau: Die meisten Ureinwohner haben wir auf diese Weise kennengelernt. Wir sind nie gezielt in ein Dorf gegangen und haben den Kontakt gesucht. In Malaysia zum Beispiel waren wir einmal im Regenwald mit dem Fotografieren einer Gottesanbeterin beschäftigt und haben erst am Ende gemerkt, dass zwei Orang Asli hinter uns standen und uns die ganze Zeit zugeschaut haben. Sie fanden es witzig, dass wir so ein kleines Tier fotografieren und haben uns eingeladen, mit in ihr Dorf zu kommen.
UNIversalis: Das sind sicher magische Momente…
Schonlau: Einzigartig. Auf Borneo hatten wir ebenfalls ein faszinierendes Erlebnis. Wir sind morgens aufgewacht und haben einem Penan in die Augen geblickt. Penan sind die letzen nomadisch lebenden Ureinwohner auf Borneo. Er interessierte sich für unsere Hängematten und zeigte uns auch seine. Irgendwann hat er sich verabschiedet und ist weitergezogen. Wir empfinden es als großes Privileg und Glück, ihnen zu begegnen, wir können so viel von ihnen lernen. Ureinwohner in Neuguinea haben es geschafft, mir eine Wunde am Fuß zu heilen, an der die antibiotische Therapie der Ärzte in Singapur und Kuala Lumpur zuvor gescheitert ist. Ein Mann mit einem Knochen durch die Nase und einem Penisfutteral, Koteka genannt, hat mir Pflanzen auf die Wunde gelegt, und nach zwei Tagen war die Entzündung weg. Das hat mich sehr beeindruckt.
UNIversalis: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro davon reden hören, dass er den Amazonas-Regenwald vor allem als landwirtschaftlich nutzbare Fläche sieht?
Schonlau: Darüber kann ich nur den Kopf schütteln. Schlimm finde ich auch, dass die Regenwälder brennen, die Medien kurz darüber berichten, alle erschrocken sind, die meisten es jedoch nach kurzer Zeit schon wieder vergessen haben, der Alltag geht weiter. Die Regenwälder brennen aber immer noch. Und nicht nur dort. Dasselbe Problem gibt es zurzeit ganz extrem auch in Afrika und Südostasien durch die Palmölindustrie. Jeder weiß, dass die Regenwälder bedroht sind, unternommen wird dagegen jedoch überhaupt nichts. Nie war die Zerstörung so stark und fand in so einem rasanten Tempo statt wie aktuell.
UNIversalis: Wo ging Ihre letzte Reise hin?
Schonlau: Wir sind gerade aus Sumatra wiedergekommen. Wir waren in einem Waldgebiet namens Batang Toru. 2017 hat man dort eine neue, die dritte Orang Utan Art entdeckt, den Tapanuli-Orang-Utan. Das Gebiet und diese seltenste aller Menschenaffenarten sind massiv durch den Bau eines Wasserkraftwerks bedroht. Sollte es tatsächlich realisiert werden, wird das der Tapanuli-Orang-Utan nicht überleben. Die Weltbank hat sich aus dem Projekt zurückgezogen. Es wird nun von chinesischen Unternehmen finanziert und gebaut. Gemeinsam mit NGOs versuchen wir darüber zu berichten.
Hirsch: Ich war in Tasmanien. Ein größeres Projekt, bei dem es um die Vorstellung der gesamten Insel geht. Letztes Mal haben wir uns auf die Küste und die Tierwelt fokussiert, diesmal waren wir in den Regenwäldern unterwegs. Während in Deutschland Hochsommer war, haben wir dort bei Wind und Schnee im Zelt gefroren.
UNIversalis: Schnee im Regenwald?
Hirsch: Ja, das sind die sogenannten Cool Temperate Rainforests, die gemäßigten Regenwälder. Wir waren zur lokalen Winterzeit da, nachts hatten wir leichten Frost, tagsüber ein paar Grad über Null und konstant Niederschläge. Für Fotografen und Equipment eine große Herausforderung.
UNIversalis: Ihre Bilder sind sehr künstlerisch. Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?
Hirsch: Künstlerisch ist ein ganz gutes Wort. Ich versuche nicht nur das abzubilden, was man einfach sehen kann, sondern ein bisschen darüber hinaus zu interpretieren und mit den Möglichkeiten zu spielen, die mir die Fotografie bietet. Zum Beispiel mit der Belichtung, ob heller oder dunkler, mit der Belichtungszeit, um Bewegungen zu verwischen, mit geringer Tiefenschärfe und starker Reduktion. Um das Ganze abstrakter darzustellen, als man es mit den Augen sehen würde.
UNIversalis: Was macht für Sie ein perfektes Bild aus?
Hirsch: Manchmal ist es eine seltene Verhaltensweise eines Tieres, die ich gut fotografieren konnte. Teilweise sind es auch alltägliche Szenen. Ich habe zum Beispiel oft Rotkehlchen fotografiert, die einfach auf einem Ast sitzen. Damit überrascht man natürlich keinen. Wenn man dazu aber besondere Lichtstimmungen hat, besondere Blickwinkel und das Ganze mit einer besonderen Aufnahmetechnik kombiniert, kann man auch aus solchen alltäglichen Motiven etwas bis dahin Ungesehenes machen. Ein anderes Beispiel ist das Bild eines Seeadlers. Ich wollte mit einer langen Belichtungszeit den Flügel verwischen und gleichzeitig den Kopf durch den Flügel zeigen. Dieses Bild hatte ich im Kopf, das wollte ich unbedingt machen. Ich habe etliche Anläufe gebraucht. Ich stand auf einem wackligen Boot, der Vogel ist relativ schnell. In dem Moment, wo er den Fisch packt und zum ersten Mal die Flügel vors Gesicht schwingt, wird er langsamer. Ich habe einige Versuche gebraucht, bis alles gepasst hat. Als ich es geschafft hatte, war das für mich ein perfekter Moment.
UNIversalis: Haben Sie einen fotografischen Lieblingsort?
Hirsch: Ich reise zurzeit relativ viel, was mich stört. Ich bin eigentlich am liebsten vor meiner Haustür unterwegs. Die meiste Zeit habe ich in den Stadtparks und kleinen grünen Inseln in Dortmund fotografiert. Vor kurzem bin ich in die Wetterau gezogen und muss mich hier erstmal einfinden. Meine Lieblingsorte sind tatsächlich die, die ich regelmäßig und häufig besuchen kann und die ich dann sehr gut kenne. Auf Reisen kann ich mir so was nicht aufbauen.
UNIversalis: Was sind für Sie die größten Herausforderungen beim Fotografieren?
Hirsch: Sich nicht unterkriegen lassen, wenn es nicht gleich klappt, dranbleiben, immer wieder rausgehen, auch wenn das Wetter schlecht ist, auch wenn man das Tier seit 14 Tagen nicht gesehen hat. Wenn man viel fotografiert, nicht in ein Muster zu verfallen. Es ist natürlich schön, wenn man einen eigenen Bildstil hat, den andere wiedererkennen, trotzdem ist es so langfristig schwer, sich weiterzuentwickeln. Außerdem sich nicht zu sehr nach anderen richten. Das ist die schwierige Frage nach den Vorbildern. So richtige Vorbilder habe ich nicht. Es gibt Leute, zu denen ich aufschaue, bei deren Fotos ich denke, wow, das könnte ich nie. Aber ich versuche mich davon zu lösen und meine eigenen Bilder zu machen.
UNIversalis: Wir bedanken uns für das Gespräch.
Bildquellen
- „Faszination Natur“: Hermann Hirsch