KunstTitel

„Knoten in der Seele lösen“

Armin Mueller Stahl als Maler
Armin Mueller Stahl als Maler

Im Gespräch: Armin Mueller-Stahl, Schauspieler, Musiker, Literat, Maler und…

Armin Mueller-Stahl, der am 17. Dezember 1930 in Tilsit an der Memel geboren wurde, ist als Schauspieler schon seit langem berühmt. In der früheren DDR war er als Bühnen- und Filmakteur neben Manfred Krug einer der meistbeschäftigten Darsteller. 1979 ging er knapp fünfzigjährig in die Bundesrepublik und hat sich auch hier, vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Rainer Werner Fassbinder in „Lola“ und „Die Sehnsucht der Veronika Voss“, rasch einen Namen gemacht. Doch Mueller-Stahl zog es weiter gen Westen.

Nach der Oscar-Nominierung von „Bittere Ernte“, „Oberst Redl“ brach er Mitte der 80er Jahre nach Amerika auf. Dort drehte der „blue eyed heroe“ u.a. mit Costa Gavras, Jim Jarmusch, Barry Levinson – um sich dann in Heinrich Breloers Doku-Drama „Die Manns“ als Thomas Mann nachdrücklich auch in Deutschland wieder in Erinnerung zu bringen.
Inzwischen reicht seine künstlerische Produktivität über Bühne und Leinwand hinaus: Seit 2000 sind in verschiedensten Ausstellungen die Bilder des Malers Armin Mueller-Stahl zu sehen. Nun wird auch im Forum Merzhausen ab 20. September eine Auswahl seiner Bilder ausgestellt sein. Gabriele Michel sprach mit Armin Mueller-Stahl darüber, was es für ihn bedeutet, so spät in seinem Leben mit einer neuen künstlerischen Ausdrucksform an die Öffentlichkeit zu treten.

Kultur Joker: Herr Mueller-Stahl, Sie sind als Schauspieler international bekannt, Sie schreiben, spielen Geige, treten mit eigenen Liedern auf – was bedeutet es für Sie, nun auch als Maler künstlerisch tätig zu sein?

Mueller-Stahl: Zum einen kann ich beim Malen und Zeichnen produktiv, autonom und zurückgezogen arbeiten, wie in keiner anderen Ausdrucksform. Das entspricht mir. Und dann – wissen Sie, Ionesco, der auch malte, was ich gar nicht so wusste, hat mal gesagt: Mit der Malerei sei er nah am lieben Gott. Genau so empfinde ich es auch.

Kultur Joker: Sie hatten Ihre erste Ausstellung 2000 in Potsdam. Warum kam die Malerei so spät?

Mueller-Stahl: Angefangen habe ich mit dem Zeichnen schon in den ersten Jahren beim Theater. Da habe ich in der Kantine auf Bierdeckel Porträts skizziert. Aber als ich dann so viel auf der Bühne stand und vor der Kamera und ja auch mit meinen Liedern aufgetreten bin, ist die Malerei zurückgetreten. Erst als 2000 ein Zeitungsporträt meine Malerei erwähnt, wurde die Leiterin des Filmmuseums Potsdam darauf aufmerksam. So kam es zu meiner ersten Ausstellung.

Kultur Joker: Erinnern Sie sich an einen Moment, in dem Sie realisiert haben, dass die Malerei Ihnen nicht nur Freude macht, sondern dass Sie da auch Talent haben?

Mueller-Stahl: Na ja, ich habe mich ja am Theater anfangs nicht immer so wohl gefühlt und damals gab es öfter den Gedanken, vielleicht liegt mir die Malerei viel mehr als das Schauspielen. Und bei manchen Rückmeldungen von Kollegen, die ich gezeichnet habe, habe ich auch gemerkt, dass mir da etwas gelang. Aber ich war ja schon in der Öffentlichkeit – die Malerei habe ich sehr lange eher als Möglichkeit geschätzt, mich aus emotionalen Tiefs zu befreien, die Knoten in der Seele zu lösen.

Kultur Joker: Gibt es bestimmte Materialien, mit denen Sie lieber arbeiten als mit anderen?

Mueller-Stahl: So wie ich arbeite, sind es weniger die Materialien, die bestimmen, es dominiert der Strich, es dominiert, was mich berührt – ich kann mich mit der Malerei und dem Zeichnen besser ausdrücken als mit dem Wort.

Kultur Joker: Sind zeichnen, malen und Druck für Sie gleichwertig?

Müller-Stahl: Oh, beim Druck kommt ja ein ganz neuer Prozess in Gang. Das ist ungeheuer spannend, was mit einer Zeichnung beim Druck passiert, das ist ein eigener künstlerischer Prozess. Das habe ich zum Beispiel jetzt mit einem Bild erlebt, das der Brockhaus-Verleger in Auftrag gegeben hat, es heißt „Afrika mon amour“ und verarbeitet meine Erlebnisse in diesem Land.

Kultur Joker: Waren Sie jüngst in Afrika?

Müller-Stahl: Nein nein, das war in den 90er Jahren, als wir dort „The Power of one“ drehten. Afrika hat mich immer sehr bewegt, sehr aufgeregt.

Kultur Joker: Ihr Galerist, Herr Gaulin, nennt die Verdichtung als hervorstechendes Merkmal Ihrer Malerei – Sie selbst haben mal gesagt, sie malten filmisch. Meint das die Motive oder den Blick?

Müller-Stahl: Das meint zuerst einmal, dass ich oft während der Dreharbeiten male, also das Drehbuch quasi übermale – wie zum Beispiel bei dem Thomas-Mann-Film. Weil ich die Stimmung des Drehtages gern festhalten möchte, und zwar besonders die emotionale Seite des Drehens. Und daraus sind dann manchmal größere, eigenständige Bilder geworden.

Kultur Joker: Sie malen und zeichnen sehr viele Porträts – was reizt Sie daran?

Müller-Stahl: Die Reduktion auf das Wesentliche. Ich möchte nicht einfach eine Ähnlichkeit erzeugen, sondern etwas Charakteristisches erfassen, das Gesicht hinter dem Gesicht zeigen.

Kultur Joker: Es sei ein Segen, dass Sie so lange im Privaten gemalt haben, meinte Herr Gaulin mal, weil Sie dadurch keiner Kunstkritik, keinen Moden unterworfen waren, sondern sich ganz autonom entwickeln konnten. Erleben Sie das auch so?

Müller-Stahl: Für die zurückliegenden Jahrzehnte mag das stimmen. Heute wundere ich mich ja immer, dass meine Malerei so wenig kritisiert wird. Ich habe als Schauspieler viel mehr Kritik und Anfechtungen erlebt, auch mit der Geige. – Dass ich als Maler so viel Interesse und Anerkennung erlebe, inspiriert mich natürlich.

Kultur Joker: „Was ist der Mensch, was treibt ihn an?“, diese Fragen haben Sie mal als roten Faden ihres künstlerischen Schaffens bezeichnet – sind sie das immer noch?

Müller-Stahl: Wissen Sie, ich kann die Augen nicht verschließen vor dem, was in der Welt geschieht. All die Ungerechtigkeiten, das Elend – oder auch, wie man Menschen vermeintlich verbessert. Jetzt will man ihnen einen Chip ins Gehirn pflanzen, damit sie direkt online sein können, ohne Computer. All diese Versuche, den Menschen oder auch die Natur zu verbessern, die haben nicht funktioniert und werden nicht funktionieren. Im Gegenteil. Und die Frage, warum bin ich auf diesem Planeten, die kommt immer wieder und besonders beim Malen. Manchmal habe ich dann sogar das Gefühl, dem Jenseits ein bisschen näher zu kommen.

Kultur Joker: Mit der Musik haben Sie solche Erlebnisse nicht?

Müller-Stahl: Doch, aber immer nur kurz – die Musik ist eher eine Momentaufnahme der Seele – sie berührt einen und verschwindet. Oft hat dieses Erleben auch damit zu tun, was man mit dieser Musik verbindet. Das liegt aber sicher auch daran, dass ich die Musik nur höre oder spiele, nicht als Komponist auf der Welt bin. Wäre ich Komponist, ginge es mir wahrscheinlich ähnlich wie mit der Malerei.
Kultur Joker: Menschen, Szenen, Naturphänomene. Sie haben ganze Zyklen zum Beispiel zu Bäumen und Brücken gemalt, viele Musikerporträts, Eindrücke von Venice Beach, wo Sie eine Weile gewohnt haben, Pina Bausch, Michael Jackson, eine Frau, die im Iran erschossen wurde – motivisch schöpfen Sie offenbar weniger aus der Innenwelt, wie beispielsweise Dalí, sondern reagieren sehr stark auf die Außenwelt?

Müller-Stahl: Ja, das stimmt. Ich benutze meine Augen. Und alles was mich von dem, was ich sehe, berührt, will Wort oder Malerei werden – und inzwischen eben meist Malerei. Ich nehme auch Abschied von Menschen, indem ich sie male. Und zu manchen gewinne ich dadurch eine tiefere Verbindung als zu ihren Lebzeiten. Das ist schon auch sehr merkwürdig.

Kultur Joker: Arbeiten Sie im Moment an einem bestimmten Bild?

Müller-Stahl: Ich bin innerlich immer mit der Malerei beschäftigt, einfach weil sie mir Freude macht. Und meist habe ich auch ein konkretes Thema oder Projekt, ja. Jetzt zum Beispiel arbeite ich an Bildern zu dem Film „ Die zwölf Geschworenen“, in dessen Remake von William Friedkin ich ja mal mitgespielt habe. Diese Figuren, die Urteile fällen müssen und dabei häufig zu Fehlurteilen kommen, das interessiert mich gerade. Und ich bin selbst gespannt, was daraus wird. Denn oft erlebe ich auch Überraschungen. Ich habe etwas im Kopf, wenn ich zu malen beginne – aber dann entwickelt es sich ganz anders, überrascht mich selbst. Zum Beispiel dass die Farben ein Eigenleben entwickeln, meine Pläne durchkreuzen. Das mag ich sehr, diese Eigendynamik.

Kultur Joker: Sie sind sehr vielseitig künstlerisch tätig. Die große Bedeutung, die die Malerei für Sie hat, ist sichtbar geworden. Gibt es eine innere Hierarchie zwischen den anderen Ausdrucksformen, der Musik, dem Schreiben?

Müller-Stahl: Na ja, ich trete ja inzwischen wieder mit meinen Liedern auf – das hatte ich eigentlich gar nicht mehr vor. Aber ich merke, dass ich in dem Moment, wo ich die Bühne betrete, zum Entertainer werde. Die besondere Freude entsteht hier allerdings auch durch die Zusammenarbeit mit den Musikern, die ich alle drei sehr schätze – einen Saxofonisten, einen Pianisten und einen Akkordeon-Spieler. Sie improvisieren wunderbar, es ist auf jeder Bühne anders. Und bei diesen Auftritten benutze ich auch gern die Geige wieder. Das Schreiben ist eher zurück getreten, seit ich male. Was schließlich die Schauspielerei betrifft, sage ich inzwischen gern: ich bin ein Maler, der auch schauspielert. Und das ist nicht nur ironisch gemeint.

Kultur Joker: Gibt es aus dem Rückblick einen Film oder Dreharbeiten, an die Sie besonders gerne denken?

Müller-Stahl: Darüber habe ich nie nachgedacht. Für mich sind fertige Arbeiten immer irgendwie abgeschlossen, entfernen sich. Es gibt natürlich Momente, in denen ich auch an die Menschen denke, die ich mochte und die mich berührt haben. Auch ganz früh, in der DDR –Zeit.

Kultur Joker: Sie leben in Deutschland, wo Sie an der Ostsee Ihre Zelte aufgeschlagen haben, und in Los Angeles. Wenn Sie jetzt wieder ins Flugzeug nach Amerika steigen, brechen Sie gern auf oder blieben Sie lieber?

Müller-Stahl: Nein, ich bin froh, weil ich in Los Angeles meine Ruhe habe.

Kultur Joker: Dann werden neue Bilder entstehen. – Ich wünsche Ihnen einen guten Flug.

Gabriele Michel ist Autorin von „Armin Mueller-Stahl. Die Biographie.“ 2010 beim Aufbau Taschenbuch Verlag erschienen.

Der Kulturverein artisse zeigt vom 21. September bis 6. Oktober im Forum Merzausen bis zu 50 Druckgraphiken, zehn Papierarbeiten und einige größere Leinwände des Multikünstlers Armin Mueller-Stahl. Im Rahmen der Ausstellung finden Begleitveranstaltungen statt.

Öffnungszeiten: Di – Fr 17-19 Uhr; Sa/So/Feiertag 11-15 Uhr (am Wahlsonntag, 22.9., 8 – 18 Uhr).

Weitere Infos: www.artisse.de