Interview

„Ich wünsche mir, dass Ruhe einkehrt“

Im Gespräch: Morten Schuldt-Jensen, Chordirigent und Professor

Schuldt-Jensen in Freiburg und hat als Professor für Chordirigieren, Dirigent des Freiburger Kammerchores und künstlerischer Leiter der Musiktage St. Peter Spuren im Musikleben hinterlassen. Sein bis Sommer 2010 befristeter Vertrag an der Freiburger Musikhochschule wurde allerdings nicht verlängert, was den 53-jährigen Dänen dazu veranlasste, gegen das Land Baden-Württemberg zu klagen. Da das Urteil noch nicht gesprochen ist und der Prozess auf Ende Januar 2012 vertagt wurde, musste Georg Rudiger im Interview das brisante Thema ausklammern. Ein Gespräch über den Reiz des Unterrichtens, Bonsaibäume und Ruhestörungen im Konzert.

Kultur Joker: Sie sind im Jahr 2006 von Leipzig nach Freiburg gekommen. Wie war für Sie der erste Eindruck von Freiburg?
Morten Schuldt-Jensen: Absolut wunderbar. Ich war dort im Herbst 2005, um an der Musikhochschule vorzudirigieren bzw. um einen Probeunterricht zu halten. Die Naturnähe ist etwas ganz Besonderes. Die Freiburger Musikhochschule ist vielleicht die am schönsten gelegene in ganz Deutschland.
Kultur Joker: Wie haben Sie von der Ausschreibung erfahren?
Schuldt-Jensen: Ein ehemaliger Schüler von Hans-Michael Beuerle, der nun Professor für Chorleitung an der Leipziger Musikhochschule ist, hat mich darauf aufmerksam gemacht. Beuerles Namen kannte ich, weil ich mich sehr für Brahms interessiere.
Kultur Joker: Haben Sie seine Dissertation gekannt?
Schuldt-Jensen: Ja. Ich habe als Musikwissenschaftler in Kopenhagen seine Dissertation auf der Literaturliste gehabt. Es war sehr reizvoll mir vorzustellen, so einer großen Persönlichkeit nachfolgen zu dürfen.
Kultur Joker: Sie haben neben Dirigieren auch Gesang studiert.

Schuldt-Jensen: Ich habe zunächst Musikwissenschaft und Sportwissenschaft studiert. Dann bin ich an der Musikhochschule von Kopenhagen als Dirigierstudent für Chorund Orchesterleitung aufgenommen worden. Dort habe ich dann auch noch Gesang studiert.
Kultur Joker: Wenn Sie die unterschiedlichen Tätigkeiten gewichten würden – das Dirigieren, das Singen und das Unterrichten – wo ist da die Mitte? Was ist die Hauptsache für Sie?
Schuldt-Jensen: Die Mitte ist in der Mitte. Ohne Singen zu können, macht Chorleitung nicht wirklich Sinn. Und die Chorleitertätigkeit, das Einstudieren von Kompositionen, geht auch bis hin zum Profiniveau schlecht ohne pädagogisches Wissen. Das Unterrichten geht gar nicht, ohne künstlerische Erfahrungen einzubringen. Das heißt, alle drei Sachen sind voneinander abhängig.
Kultur Joker: Was reizt Sie speziell am Unterrichten?
Schuldt-Jensen: Es ist für mich immer wieder eine menschliche und intellektuelle Belebung, im Austausch mit den Studenten zu sein. Es ist zum Beispiel wunderbar, wie Studenten fragen können. Das finde ich pädagogisch sehr reizvoll.
Kultur Joker: Es wurde in ihrem Berufungsvertrag festgelegt, dass sie pro Jahr vier Chorprojekte an der Musikhochschule machen sollen. Das sind, soweit ich weiß, mehr, als es unter Ihrem Vorgänger der Fall war. War es Ihnen wichtig, sich auch verstärkt als Dirigent einzubringen?
Schuldt-Jensen: An der Musikhochschule dienen solche Konzertprojekte einem pädagogischen Zweck. Ich selbst habe in und außerhalb Freiburgs reichlich künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten. Für mich ist es undenkbar, Studenten in Chorleitung auszubilden, ohne dass sie sehen können, wie man das in der Praxis gestaltet. Wir haben ja gerade ein Kammerchorprojekt gemacht.
Kultur Joker: Ja, ich habe das  Konzert gehört.

Schuldt-Jensen: Von einer solchen Woche können die Studenten viel mitnehmen. Sie sehen, wie man solch ein Projekt methodisch, künstlerisch, dirigiertechnisch, stimmbildungstechnisch aufbauen kann. Und wie sich das in dem künstlerischen Ergebnis niederschlägt. Ich gebe ihnen ein Beispiel. Wenn man Koch werden möchte und man nie erlebt, wie ein Menü geplant wird, wie man einkauft, wie man das Timing abstimmt, damit das Eis nicht schmilzt, bevor die Kartoffeln gekocht sind, dann wird das wahrscheinlich nichts werden. Übertragen heißt das: Man kann vielleicht ein guter „Techniker“ sein, aber dies allein macht noch keinen guten Dirigenten und künstlerischen Leiter aus.
Kultur Joker: Im Augenblick läuft ja noch die Klage, die Sie gegenüber dem Land Baden-Württemberg angestrengt haben, weil ihr vierjähriger Vertrag nicht wie üblich in ein Beamtenverhältnis verlängert wurde. Ihnen wird unter anderem vorgeworfen, ungenehmigten Urlaub genommen zu haben.
Schuldt-Jensen: Die Vorwürfe werden von uns bestritten, unter anderem darum geht ja das Verfahren. Aber darüber hinaus darf ich mich zum laufenden Prozess nicht äußern
Kultur Joker: Ich war im Freiburger Verwaltungsgericht und habe die Verhandlung erlebt. Und auch die eisige Stimmung, die zwischen den Beteiligten herrschte. Was war das für ein Gefühl, als Sie im Herbst wieder an die Freiburger Musikhochschule zurückgekommen sind? Der Konflikt hat ja auch in der Musikhochschule sehr polarisiert.
Schuldt-Jensen: Ich bin sehr, sehr gerne mit meinen Studenten zusammen. Und da ist die Welt absolut in Ordnung. Die Leute, die angeblich gegen mich sind, treffe ich nicht. Ich begegne in der Musikhochschule immer freundlichen Menschen.
Kultur Joker: Es ist kein Spießrutenlaufen für Sie.
Schuldt-Jensen: Nein. Als das Rektorat damals bekannt gab, dass der Vertrag mit mir nicht verlängert wird, gab es ja viele Solidaritätsbekundungen für mich von Studierenden und Dozenten. Eine Demonstration gegen mich habe ich nie erlebt.
Kultur Joker: Was ist Ihnen als Chordirigent wichtig? Gibt es einen Idealklang für Sie?
Schuldt-Jensen: Nein, das ist stückeabhängig. Das ist so wie bei einem Maler, der entscheiden muss, welchen Hintergrund er für sein Motiv wählt, ob er Ölfarben oder Wasserfarben verwendet usw.
Kultur Joker: Sie machen jetzt mit dem Freiburger Kammerchor, den Sie seit 2008 leiten, das Deutsche Requiem von Johannes Brahms. Können Sie mir an diesem Beispiel zeigen, welche Farben Sie wählen? Schuldt-Jensen: Ich werde sehr auf Transparenz setzen. Die Einflüsse der alten Musik, diese polyphonen Strukturen, die Brahms verwendet, müssen hörbar sein. Und seine menschliche Größe und Freundlichkeit müssen sich in der Farbwahl niederschlagen.
Kultur Joker: Möchten Sie diese Transparenz nur bei Brahms erzielen? Oder ist das eher ein grundsätzliches Klangideal für Sie?
Schuldt-Jensen: Jedes Stück hat eine große Bandbreite an Texturen und Farben, die ich als Dirigent herausarbeiten muss. Vielleicht ist Durchsichtigkeit im Klang wirklich etwas, das ich immer haben möchte. Aber nicht körperlos. Ich möchte die ganze Stimme und den ganzen Körper hören. Aber dafür sorgen, dass es immer in Abstimmung mit den anderen Stimmen passiert.
Kultur Joker: Muss man dafür den einzelnen Sänger stark zurücknehmen?
Schuldt-Jensen: Nein. Ich versuche nicht, die Stimmen zu drosseln, sondern da wachsen zu lassen, wo sie noch keine Äste haben.
Kultur Joker: Aber wenn ein Sänger zu laut ist, funktioniert das nicht.
Schuldt-Jensen: Das ist keine reine Frage der Lautstärke. Das, was einem nicht passt, einfach abzuschneiden, ist der einfache Weg. Ich möchte keine Bonsai- Bäume. Im Gewandhaus-Kammerchor habe ich die Stimmen in prof ilierte Stimmen und sammelnde Stimmen aufgeteilt. Jede profilierte Stimme muss von einer sammelnden Stimme aufgenommen werden. Das habe ich auch bei der Sitzordnung berücksichtigt. Kultur Joker: Die profilierten Stimmen sind also die führenden.
Schuldt-Jensen: Nein, das kann man so nicht sagen. Wenn ich zwei profilierte Stimmen nebeneinander stelle, dann kämpfen sie, was die Obertöne angeht, gegeneinander. Wenn ich aber eine voluminöse, sammelnde Stimme daneben stelle, dann können beide laut singen, stechen aber trotzdem nicht heraus, weil sie von der sammelnden Stimme aufgefangen werden. Und die sammelnde Stimme wird gefördert von der profilierten – das ist ein Geben und Nehmen. Man kann auch im Dirigat die eine Seite stärker betonen, um interpretatorisch etwas auszudrücken. Nehmen wir ein Stück wie Anton Bruckners „Christus factus est“, das Sie gerade gehört haben. Da gibt es Strecken mit wenig Stimmgebung, aber enormer Resonanz. Dieses Piano ist so tragend wie eine Schaummatte. Dann gibt es andere Stellen, wo alle auf hartem Stein gehen müssen.
Kultur Joker: Dann müssen die sammelnden Stimmen auch zu profilierten werden, um einen bestimmten Charakter, eine bestimmte Farbe auszudrücken.
Schuldt-Jensen: Genau. Das ist Gesangstechnik – und das lehre ich auch meinen Studenten.
Kultur Joker: Mit dem Freiburger Kammerchor leiten Sie einen Laienchor. Beißt sich das nicht mit dem hohen Anspruch, den Sie haben?
Schuldt-Jensen: Im Gegenteil! Ich bin ja ganz bewusst in diese Arbeit gegangen. Für mich war die Frage: Gibt es hier ein Potential, das man weiterentwickeln kann? Und wie kann ich den Chor, was das Repertoire angeht, weiterbringen? Ich denke, wir sind in beiden Punkten schon weit gekommen.
Kultur Joker: Haben Sie das mit den gleichen Leuten gemacht, die bei Ihrem Antritt schon dabei waren? Schuldt-Jensen: Ja. Ein paar haben mit dem Dirigentenwechsel aus Altersgründen aufgehört. Die anderen damaligen Mitglieder des Chores, die vorgesungen haben, sind genommen worden.
Kultur Joker: Die Chormitglieder mussten neu vorsingen bei Ihrem Amtsantritt?
Schuldt-Jensen: Ich wollte einfach den Stand der Dinge kennenlernen. Nach dem Motto: Dies soll mein Chor werden. Welche Ressourcen habe ich zur Verfügung?
Kultur Joker: Arbeiten Sie mit Laien gleich wie mit Profis?
Schuldt-Jensen: Im Prinzip schon. Manchmal dauern manche Dinge eben etwas länger, aber ich möchte schon auch bestimmte Klangfarben haben usw. Wir haben jetzt gerade ein Jazz-Programm gemacht, das wir mit Werken von Edvard Grieg und einigen A-Cappella-Sachen aus dem 20. Jahrhundert gemischt haben. Die Frage war sozusagen, ob wir eine Klarinette zu einem Saxophon umbauen können. Das war eine enorme Herausforderung, weil ich mit dem Chor nie zuvor Jazz oder Gospels gesungen habe.
Kultur Joker: Jazz hat der Freiburger Kammerchor meines Wissen früher nicht gesungen. Was hat sich noch verändert beim Freiburger Kammerchor, seit Sie ihn leiten?
Schuldt-Jensen: Wir singen viele A-Cappella-Programme. Das war früher nicht fest eingeplant. Wir wechseln jetzt immer ab zwischen einem A-Cappella- Projekt und einem großen, symphonischen Programm. Die Zahl der Projekte haben wir fast verdoppelt. Früher waren es in der Regel zwei pro Jahr, jetzt sind es vier.
Kultur Joker: Was macht für Sie den Freiburger Kammerchor aus?
Schuldt-Jensen: Ich denke, dass der Chor mittlerweile auf semiprofessionellem Niveau singt. Es freut mich, dass der Kammerchor so experimentierfreudig geworden ist. Ich war nicht sicher, ob wir das schaffen, als wir im Herbst mit den Proben zu meiner Jazzsuite begonnen hatten. Wenn man solch einen gestandenen Chor aus Anwälten, Lehrern, Studienräten etc. in fremdes Terrain führt, muss man schon aufpassen, dass sich die Chorsänger wohlfühlen. Dass der Chor dieses Programm letztendlich so überzeugend gesungen hat, freut mich wirklich sehr.
Kultur Joker: Was muss man mitbringen, um im Freiburger Kammerchor zu singen?
Schuldt-Jensen: Zeit, Chorerfahrung, eine gute Stimme und eine gewisse Offenheit.
Kultur Joker: Man muss keinen Gesangsunterricht gehabt haben?
Schuldt-Jensen: Das hilft schon. Aber es gibt auch Stimmen, die noch nicht die gewünschte Qualität haben, aber sehr beeinflussbar sind. Die nehmen wir auch.
Kultur Joker: Ich möchte noch einmal zurückkommen auf das Konzert mit dem Kammerchor der Musikhochschule in der Friedenskirche. Ich war überrascht, wie gut das klingt. Ich war aber auch überrascht, dass Sie einer Frau, deren kleines Kind geredet hat, nahe gelegt haben, den Raum zu verlassen.
Schuldt-Jensen: Viele Zuhörer haben sich anschließend für die klaren Worte bedankt. Und fanden es auch nicht richtig von der Mutter, in diesem Zusammenhang einfach sitzen zu bleiben, obwohl das Kind hörbar das Konzert störte und mehr Aufmerksamkeit erregte als die Akteure.
Kultur Joker: Ich habe so etwas jedenfalls noch nie erlebt, dass ein Dirigent wegen eines lauten Kindes eine Ansage macht. Es hätte ja auch sein können, dass sich das Problem von alleine löst. Unruhe gibt es ja häufig in Konzerten.
Schuldt-Jensen: Deshalb habe ich zunächst abgewartet, ob sich das Kind beruhigt und meine Ansage erst nach dem zweiten Stück gemacht. Ich fordere keine absolute Stille. Das Publikum ist aber in dieses Konzert gekommen und hat Eintritt bezahlt, um Musik zu hören. Ich bin selbst Vater von vier Kindern und finde es sehr wichtig, Kinder an Musik heranzuführen. Wenn man Kinder hat, die nicht in einen solchen Zusammenhang passen, sollte man sie nicht mitnehmen. Dafür gibt es Konzerte speziell für Kinder.
Kultur Joker: Jetzt beginnt ein neues Jahr. Was wünschen Sie sich für 2012?
Schuldt-Jensen: Ich wünsche mir, dass Ruhe einkehrt. Ich wünsche mir, dass diese für mich eigentlich nicht verständliche Situation an der Freiburger Musikhochschule zu einem guten Ende führt. Und dass die Studierenden mit einer gewissen Sicherheit und Planbarkeit studieren können.
Kultur Joker: Was erhoffen Sie sich von dem Konzert im Freiburger Konzerthaus mit dem Kammerchor am 29. Januar, wenn Sie das Brahms-Requiem zur Aufführung bringen?
Schuldt-Jensen: Ich wünsche mir ein großes Publikum. Dieses wunderbare Stück kann uns heute, wo viele orientierungslos sind, sehr viel sagen. Ich haben Ihnen unseren Brahms-Flyer mitgebracht. Wie würden Sie diesen interpretieren?
Kultur Joker: Die schwarze Schrift „Requiem“ wird bunt, ein Schmetterling fliegt davon. Vielleicht möchten Sie die freundliche, helle Note des Werkes betonen.
Schuldt-Jensen: Genau, dieses Stück ist ja kein Requiem im traditionellen Sinne. Es ist ein wunderbares Werk, das sehr modern ist. Es meint: Es werde Licht.
Kultur Joker: Herr Schuldt- Jensen, vielen Dank für das Gespräch. Konzerte mit dem Freiburger Kammerchor (Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem) und dem Leipziger Kammerorchester unter der Leitung von Morten Schuldt-Jensen am 28. Januar 2012 im Franziskaner/Villingen und am 29. Januar 2012 im Konzerthaus Freiburg, jeweils 20 Uhr (19 Uhr: Einführung durch den Dirigenten). Firmendienst : 0761/38 20 78 Touristik : 0761/38 10 21 Fax : 0761/28 00 30 e-mail: info@funfly.de internet: www.fun-fly.de W i l h e l m Moltkestrs. 2t r8. 1 a •• 7 970909988F Fr reeiibbuurrgg