Interview

„Ich bin ein Sonderfall“

Im Gespräch: Prinz Pi, Rapper mit Altgriechisch-Kenntnissen und Hochschuldiplom.

Prinz Pi ist der Rapper mit Altgriechisch-Kenntnissen und Hochschuldiplom. Der Gegenentwurf zu den Ghettokids Sido und Bushido. Ohne große Plattenfirma im Rücken hat der Berliner, der bürgerlich Friedrich Kautz heißt, bis dato 15 Soloalben veröffentlicht und zahlreiche Tourneen absolviert. Mit „Kompass ohne Norden“ könnte Prinz Pi nun der große Durchbruch gelingen. In 13 Songs zieht der 33-jährige Schnellsprecher das Resümee seines bisherigen Lebens. Sie handeln von Depressionen, Eliteschulen und der Kunst der Rede. Die Fragen stellte Olaf Neumann.
Kultur Joker: Prinz Pi, was gab Anlass zu Ihrem musikalischen Rückblick?
Prinz Pi: Meine Tochter. Sie ist jetzt dreieinhalb. Das ist die Zeit, wo sie beginnt, die Welt richtig wahrzunehmen und ihr Charakter sich entwickelt. Diese Beobachtung war für mich eine Zäsur, und so habe ich das erste Drittel meines Lebens musikalisch verarbeitet.

Kultur Joker: Schwarze Wolken“ ist ein Lied über Depressionen. Welche Erfahrungen haben Sie mit dieser Krankheit?
Prinz Pi: Depression ist in meiner Familie ziemlich verbreitet. Leider. Ich erinnere mich daran, wie ich als Kind tagelang so richtig traurig war. Dieser Zustand war für mich etwas völlig normales. Erst später wurde mir bewusst, dass er das nicht ist. Depression wird ja auch erst seit ein paar Jahren als solche benannt. Aber seitdem das Thema in den Medien ist, ist es en vogue, sowas zu haben.
Kultur Joker: Hilft Ihnen die Musik heute, aus solchen Phasen wieder herauszukommen?
Prinz Pi: Die Musik ist für mich streckenweise wie ein Therapeut, nur dass man dafür kein Geld bezahlen muss. Bestenfalls läuft es sogar andersherum. Indem ich etwas aufschreibe, was mir auf der Seele liegt, verarbeite ich es auch ein Stück weit. Heute mache ich mir viel mehr Gedanken darüber, was ich da so sage und wie ich es sage.
Kultur Joker: Setzen Sie in Ihren Texten das Leben direkt um?
Prinz Pi: Meine Texte sind zu großen Teilen autobiografisch. „Kompass ohne Norden“ ist für mich einer der wichtigsten Tracks auf dem Album. Einerseits bildet er originäre persönliche Erlebnisse ab, andererseits steht er stellvertretend für meine Generation. Das machen Johnny Cash, Bob Dylan und Bruce Springsteen auch immer.
Kultur Joker:„Frühstücksclub der toten Dichter“ lässt darauf schließen, dass Sie keine glückliche Schulzeit hatten…
Prinz Pi: Ich war auf einem so genannten Elitegymnasium, einer Schule, die sich für unheimlich toll hielt. Ich meine, sie war auch wirklich gut. Aber dort wurde man extrem nach seiner Herkunft und seinen Klamotten beurteilt. Ich war in der Schule leider ein totaler Außenseiter, weil ich in keine der beiden großen Gruppen reingepasst habe. Ich habe mich dann selber in einer Subkultur verortet und mit Graffiti angefangen. In der Hip-Hop-Szene spielt es keine Rolle, wo du herkommst. Es geht nur um dein Werk.
Kultur Joker: Hip-Hop ist eine ausgesprochene Jugendkultur. Darf man in Ihrem Beruf überhaupt erwachsen werden?
Prinz Pi: Ich bin sozusagen Berufsjugendlicher. Die gesamte Gesellschaft ist doch von dem Gedanken der Jugend besessen. Ich finde das schön, weil sich dadurch die Kleidungsnormen gelockert haben. Das bricht die Klassencodes auf.
Kultur Joker: Die eitle Figur Patrick Bateman aus dem Kult­roman „American Psycho“ bezeichnen Sie als wichtige Referenz. Was reizt Sie an solch einem „Monster“?
Prinz Pi: Nun, Patrick BateGreueltaten nur. Er ist für mich eine wichtig Referenz, weil er glasklar die Grenzen sieht, die da gesellschaftlich gezogen werden. Er beobachtet sehr genau, wie die Upper Class von New York wahrgenommen werden will. Dieses aufs Korn nehmen habe ich mir zu eigen gemacht, indem ich über meine Zeitgenossen schreibe. Meine Eltern haben meine Musik lange nicht erst genommen, aber ich selbst nehme meinen Beruf sehr ernst. Der Umstand, dass ich aus der Gesellschaft ein bisschen ausgeklinkt bin, ermöglicht mir eine gute Beobachter-Position.
Kultur Joker: In einem Stück beschreiben Sie die „Säulen der Gesellschaft“. Wo ordnen Sie sich selbst ein?
Prinz Pi: Ich bin ein Sonderfall. Ich habe in Weissensee Kommunikationsdesign studiert und mit einem Diplom abgeschlossen, aber ich habe damit nicht mehr viel am Hut. Niemand hat mich für meinen heutigen Beruf ausgebildet. In der Welt der Rapper bin ich eine Ausnahmeerscheinung, weil die meisten Kollegen einen ganz anderen Background und eine ganz andere Motivation haben. Sie machen es wahrscheinlich wegen des Ruhms oder weil sie einfach keine anderen Möglichkeiten haben.
Kultur Joker: Haben Sie sich mit Kollegen wie Sido oder Bushido etwas zu sagen?
Prinz Pi: Ne, mit denen habe ich mir überhaupt nichts zu sagen. Ich gönne denen ihren Erfolg und finde es toll, dass sie mit ihrer Musik reich geworden sind. Aber was sie da inhaltlich verzapfen, ist überhaupt nicht meine Baustelle. Kunst ist ja nicht automatisch gut, nur weil sie authentisch ist.
Kultur Joker: Sie selbst nannten sich anfangs „Prinz Porno“. Eine Anspielung auf die sogenannte Porno-Rap-Szene?
Prinz Pi: Ich habe mit Graffiti angefangen und „Porno“ als Synonym gewählt. Auf Altgriechisch heißt das „dreckig“. Für mich der beste Name, weil Graffiti eine schmutzige und wilde Kunst ist. Sie wird nachts im Verborgenen ausgeführt; man schmiert sie an die Wand, es tropft und stinkt und die meisten mögen es nicht. Den Namen habe ich noch eine Zeitlang beibehalten, nachdem ich mit der Musik angefangen hatte. Ich dachte, das interessiert eh niemanden. Aber auf einmal kamen dann doch die Fans.
Kultur Joker: Inzwischen sind Sie 33 und haben 15 Soloalben und zahlreiche Kollaborationen veröffentlicht. Wie erklärt sich diese enorme Schaffenskraft?
Prinz Pi: Na ja, wenn ich jetzt ein Maler wäre, würden nicht nur meine großen Ölgemälde gezeigt werden, sondern es wären auch ein paar kleine Skizzenbücher und Vorstudien dabei. Zu meiner Sprache habe ich erst so richtig in den letzten fünf Jahren gefunden.
Kultur Joker: Was fasziniert Sie als junger Künstler an Legenden wie Johnny Cash und Bob Dylan?
Prinz Pi: Mir gefällt die Art, wie Johnny Cash zu seinen Fehlern stand. Er hatte zuletzt eine total kaputte Stimme. Zudem hatte er vieles in seinem Leben verbockt, aber seine Musik war immer sehr ehrlich. Und an Bob Dylan mag ich die extrem verschiedenen Seiten, die in dem Film „I’m Not There“ besonders zum Tragen kommen. Im Hip-Hop bevorzuge ich die eher unbekannten Künstler wie den Rapper Grouch aus Oakland. Und Kanye West natürlich. Durch seine Offenheit hat er das Genre sehr verändert.
Kultur Joker: In „Rost“ zeichnen Sie das Bild eines Landes im Verfall. Bedienen Sie hier das Klischee des pessimistischen Deutschen?
Prinz Pi: Der Song „Rost“ geht über das Ruhrgebiet und den Niedergang unserer Industrie. Werke, Fabriken und Zechen werden geschlossen. Hier habe ich versucht, ganz viele Dinge in ein Stück Musik zu drücken. Der Song ist inspiriert von dem Buch „Ruß“ von Feridun Zaimoglu. Es ist sehr verstörend und zeichnet ein beängstigendes Bild vom Ruhrgebiet. Ich habe dann anfangen, mich weiter mit dem Thema zu beschäftigen und mich mit großen Problematiken auseinandergesetzt. Zum Beispiel mit Hedgefonds-Managern, die als kalt und unmenschlich gelten, aber eigentlich agieren sie nur im Sinne der Aktionäre. Und der Aktionär kann ja auch der kleine Opa von nebenan sein. Oder mit Arbeitern, den Rädern im System, die aber vieles hinnehmen, was ihnen das System so vorsetzt.
Kultur Joker: Was hat Ihr soziales Gewissen geschärft, was hat Sie politisiert?
Prinz Pi: Das Buch „De re republica“ von Cicero, dem berühmtesten Redner der römischen Antike.
Darin erklärt Cicero, warum man seinem Land auch einen großen Dienst erweisen kann, wenn man einfach nur berufstätiger Redner ist. Und das möchte ich auch machen.
Wenn irgendjemand an die jungen Leute rankommt, dann sind es wir Musiker.
Die Politiker schaffen das nicht.

Prinz Pi veröffentlichte im April „Kompass ohne Norden“ (CD, Keine Liebe Records/Groove Attack). Prinz Pi live: z.B. am 21. November im LKA Stuttgart und im Komplex 457 in Zürich.

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